//Müllers Kolumne: Bilanzgewinn durch Pandemie

Müllers Kolumne: Bilanzgewinn durch Pandemie

Verkehrsvermeidung rettet Leben! Eine Binsenweisheit. Denn wenn weniger Autos auf den Straßen sind und überhaupt weniger gefahren wird, gibt es weniger Konfliktsituationen und Verkehrsunfälle werden dadurch vermieden. Die Gründe für diese positive Entwicklung liegen auf der Hand. Das zeitweilige Schließen von Länder- und Staatsgrenzen, Shutdown, Homeoffice und Kontaktbeschränkungen haben zwangsläufig für eine deutliche Reduzierung des Fahraufkommens auf den Straßen geführt. Im Ergebnis starben weniger Menschen im Straßenverkehr und es wurden auch deutlich weniger Menschen bei Verkehrsunfällen verletzt. Tausenden von Menschen wurde dadurch tiefes Leid erspart.

Wirklich nur ergänzend sei erwähnt, dass der reale Zugewinn für die Verkehrssicherheit in 2020 kein direkter Erfolg verkehrspolitisch klugen und konsequenten Handelns gewesen ist, sondern lediglich ein „Bilanzgewinn“, der mitgenommen wird. Keine Frage: Wenn das Verkehrsaufkommen wieder in zuvor erreichte Höhen ansteigt, werden auch die Unfallzahlen und die Opferzahlen parallel ansteigen.

Verkehr vermeiden hilft gegen Unfalltod

Der Staat muss sich dennoch immer Gedanken darüber machen, wie er diesen positiven Impetus für das Staatsziel der Verkehrssicherheit dauerhaft – und dann auch bewusst – nutzen kann.
Intelligente Verkehrsvermeidung und -verlagerung ist dabei das richtige Stichwort – wohl aber nicht der einzige fortzuführende Gedanke. Bereits eine deutliche Stärkung des ÖPNV und des Personen-Schienenverkehrs können dem einheitlich vom Bundesministerium für Verkehr und dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat postulierten Ziel „Vision Zero“ näherkommen. Für beide Wege wird eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen benötigt – runde Tische für die Verkehrssicherheit sind allenthalben angesagt. Verkehrssicherheitsarbeit ist und bleibt Teamarbeit!

Auch überflüssige Fahrten im motorisierten Individualverkehr (MIV) sollten dauerhaft gestrichen werden. Die durch eine Stärkung des Homeoffice erreichten Effizienzgewinne in den Unternehmen führen tatsächlich als Nebeneffekt zur Steigerung der Verkehrssicherheit. Einschlägige Studien über deren Höhe gibt es zwar noch nicht, sollte es aber bald geben, wenn die Politik diese anregt und in Auftrag gibt.

Unfallursachen genau untersuchen

Tatsächlich muss auch die konkrete Unfalllage im Jahr 2020 genau untersucht werden, um herauszufinden, ob das veränderte Mobilitätsverhalten sich auch in den Unfallursachen niedergeschlagen hat. Überproportional abgenommen haben dürften Verkehrsunfälle auf Autobahnen, weil der Fernverkehr besonders stark beeinflusst wurde. Auch die Verkehrsunfälle mit den Unfallursachen wie Fehler beim Abbiegen, Ein- und Anfahren sowie Vorfahrtsverstöße dürfen durch einen Rückgang städtischen Verkehrs zurückgegangen sein. Kaum ein Rückgang ist bei der Unfallursache „Beeinflussung durch Alkohol und andere Rauschmittel“ zu erwarten, weil berauschte Fahrer immer fahren werden, und zwar auch in Pandemiezeiten. Eine in diesem Zusammenhang interessante Entwicklung ist jedenfalls die Tatsache, dass die Unfallursache „Ablenkung“ ab Januar 2021 nun endlich Eingang in den offiziellen Ursachenkatalog der Polizei und damit auch in die deutsche Unfallbilanz findet – Österreich war übrigens schon vor mehr als zehn Jahren so weit.

Keine bemerkbare Verbesserung wird durch die Entwicklung automatisierten und in letzter Stufe auch des autonomen Fahrverkehrs in den nächsten beiden Jahrzehnten zu erwarten sein, zu groß sind noch die Hürden für eine Verstetigung der sichtbaren ersten kleinen Erfolge.
Als interessierter Zuschauer dieser Entwicklungen freut man sich auch über andere kleine Erfolge, die von rührigen Fachleuten und Verkehrspolitikern immer wieder in mühsamer Kleinarbeit umgesetzt werden und die – immerhin – ihren stetigen Niederschlag in den Protokollen und Zielen der Verkehrsministerkonferenz und der Innenministerkonferenz finden. So soll aktuell besonders der große Erfolg des Landes Niedersachsen mit seinem Pilotprojekt der Abschnittskontrolle („Section Control“) nicht unerwähnt bleiben, das inzwischen einige Verkehrsunfälle vermieden und nachweislich Menschenleben gerettet hat.

Ihnen allen wünsche ich zu Beginn des neuen Jahrzehnts allzeit gute und unfallfreie Fahrt.

Weiterführende Links:
Offizielle Pressemitteilung der Bundesanstalt für Straßenwesen vom 17.12.2020:
Hier geht es zum Link

Bericht der Verkehrsministerkonferenz zur Verkehrssicherheit
Hier geht es zum Link

Bericht der Innenministerkonferenz zum Pilotprojekt „Abschnittskontrolle“
Hier geht es zum Link

Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.