Jahrelang waren junge Fahrer bei den Verkehrsunfallforschern die Risikogruppe Nummer eins. Seit jedoch die Bevölkerung immer älter wird und im Alter das Auto oft noch an Bedeutung gewinnt, wird auch diese Altersgruppe in den Blick genommen. Dabei werden nicht selten Vorurteile verbreitet, um schnell den vermeintlich Schuldigen eines Verkehrsunfalls zu präsentieren. Solche Stereotype entsprechen aber weder der Realität, noch sind sie geeignet, den Dingen auf den Grund zu gehen, um die Verkehrssicherheit für alle zu erhöhen. Also gingen Regensburger Wissenschaftler der interessanten Frage nach, worin die subjektiven Ursachen eines Pkw-Unfalls wirklich liegen: Warum baut ein Autofahrer eigentlich einen Crash?
Die Wissenschaftler der „Audi-Verkehrsforschung“ (AARU, Audi Accident Research Unit), eines interdisziplinären Projekts der Uniklinik Regensburg zur Entwicklung aktiver und passiver Sicherheitssysteme in Zusammenarbeit mit Audi, untersuchten 960 Pkw-Unfälle. Die insgesamt 1.700 Unfallbeteiligten waren zwischen 18 und 88 Jahre alt und überwiegend Männer. Der durchschnittliche Unfallfahrer war 40 Jahre alt, verfügte seit 20 Jahren über einen Führerschein und war jährlich 32.000 Kilometer unterwegs.
Interviews mit den Beteiligten und technische Rekonstruktionen der Zusammenstöße führten zu der Haupterkenntnis, dass die „häufigste Unfallursache für alle Altersgruppen im Bereich der Informationsaufnahme liegt“. Damit ist die Frage gemeint, ob die entscheidenden Informationen im Verkehrsgeschehen und in der Umwelt vor einem Crash subjektiv überhaupt erkannt wurden, wie die AARU-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler festhielten. In Zeiten intensiven Herumspielens am Smartphone ist dieses Ergebnis vielleicht nicht sehr überraschend. Allerdings gewannen die Forscher auch die Einsicht, dass das Informationsdefizit als Unfallursache mit zunehmendem Alter sogar noch ansteigt, und zwar deutlich von 50 auf 70 Prozent.
Zwischen den Altersstufen gibt es teils erhebliche Unterschiede im subjektiven Fehlverhalten. Ältere Fahrerinnen und Fahrer verunfallen öfter durch „Handlungsfehler“, das heißt, sie vertun sich bei der Bedienung des Autos, verwechseln etwa die Pedale. Obwohl sie die Situation richtig einschätzten, reagieren sie falsch.
Junge Fahrerinnen und Fahrer unterliegen vielfach einer Fehleinschätzung des Autos, verhauen sich beispielsweise mit der Länge oder Breite des Fahrzeugs. Das passiert den Senioren so gut wie nie. Auffällig ist auch, dass die Jungen oft durch überhöhte Geschwindigkeit und andere absichtliche Regelverstöße zu Verursachern eines Unglücks werden. Auch in diesem Punkt tendiert der Anteil der Älteren gegen null.
Die „erfahrenen“ Autofahrer, im Alter zwischen 25 und 64 Jahren, fallen nur in einem einzigen von insgesamt sechs typischen Fehlern auf, und das ist bei der Erwartung des Verhaltens der anderen Verkehrsteilnehmer. Bemerkenswert ist hierzu auch, dass sowohl junge wie ältere Autofahrer Schwierigkeiten haben, den Abstand zu anderen Fahrzeugen und deren Geschwindigkeit nicht richtig einschätzen – weshalb es oft kracht.
Assistenzsysteme und Übung
Unterm Strich vermuten die AARU-Wissenschaftler, dass „Fehleinschätzungen bei jungen Fahrerinnen und Fahrern eine größere Rolle spielen als eine bewusste Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit“. Für die über 65jährigen Autofahrer könnten falsche Wahrnehmungen und Probleme bei der Koordinierung während der Fahrt das Hauptproblem darstellen. Die Regensburger Forscher empfehlen als Resümee ihrer Arbeit den Einsatz und die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen, „die bei der Wahrnehmung verkehrsrelevanter Informationen unterstützen“, wie etwa Notbrems- oder Spurhaltesysteme.
Vielleicht sollte man aber auch verstärkt auf Übung, Beratung und Aufklärung setzen, gerade hinsichtlich des richtigen Verhaltens in brenzligen Situationen und spezifisch auf den jeweiligen Bedarf zugeschnitten: für die Jungen eine zweiphasige Fahrausbildung mit professionell geleitetem Erfahrungsaustausch. Und für die Senioren Fahrten durch den normalen Verkehr mit spezialisierten Fahrlehrern – ohne Angst haben zu müssen, den Führerschein zu verlieren. Auf diese Weise ist der Lerneffekt sehr hoch, wie Studien belegen.
Beate M. Glaser (kb)
Foto: Audi