//Kommentar: Aller Ehren wert

Kommentar: Aller Ehren wert

Niemand zweifelt daran, dass die engagierte Arbeit des Deutschen Verkehrssicherheitsrates das Geschehen auf den Straßen etwas kooperativer macht und sicheres Ankommen wahrscheinlicher. Nun drehte sich jüngst ein Kolloquium in Berlin um den Menschen, der sich mit seinem Fahrrad auf die Straße begibt und sich dort diversen Risiken ausgesetzt sieht. Recht großen sogar, wenn David ein Goliath in Gestalt eines Lkw begegnet, dessen Fahrer ihn vielleicht gar nicht sehen kann – die Geschichte geht dann leicht andersrum aus.

Wir haben heute die Technik, und wir wollen sie auch einsetzen – entweder am Lkw selbst oder als stationäre Signalanlage für abbiegende Trucker. So ist es ist wichtig und richtig, es ist aller Ehren wert: Aber ein ganz elementarer Ansatz, um tragische Unfälle von Radlern möglichst zu vermeiden, bleibt anscheinend unbeachtet.

Ich verstehe im Ideal unsere Gesellschaft als Solidargemeinschaft: Ich gebe, ich bringe ein – ich erhalte, man steht mir bei. Die Erklärung der Menschenrechte von 1948 – hat jetzt im Dezember 70. Geburtstag – sagt in Absatz 29, was zu den Rechten auch gehört: „Jeder Mensch hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist.“ In der Solidargemeinschaft bin ich also gefordert zu geben im Rahmen meiner Fähigkeiten. Wo sie generell oder für bestimmte Lebenslagen nicht ausreichen, steht mir die Gemeinschaft bei. Und zwar dann. So zähle ich es zu meiner „freien und vollen Entwicklung“, Verantwortung für mein Leben zu erkennen und zu übernehmen, (im gegeben Fall auch für das anderer). 

Diese Eigenverantwortung wahrzunehmen, gilt es exemplarisch in jener Situation, die gemeinhin für das Paradebeispiel für tödliche Risiken im Dasein der Radler steht: Ich warte mit meinem Fahrrad an einer Kreuzung darauf, dass die Ampel „Grün“ zeigt (dass dies atypisch für den Radler als solchen ist, soll hier keine Beachtung finden), um dann geradeaus weiterzufahren. Links neben mir ein Rad, fast so hoch wie ich, ein Diesel leistet dahinter vernehmlich seine Leerlaufarbeit. Der Fahrer des Lkw, der hier gemeint ist, kann mich möglicherweise nicht sehen. Dann, die Ampel zeigt für beide Grün, der Radler fährt los, der Lkw-Fahrer auch und biegt unvermittelt nach rechts ab. 

An einer Straße vom Hunsrück hinunter an den Rhein bei Bacharach steht ein Haus mit diesem Sinnspruch unterm Giebel: „Zieh vom Unglück ab die eigne Schuld, und trag den Rest dann mit Geduld.“ Zu Letzterem werden jetzt meine Hinterbliebenen genötigt. 

„Wer Rad fährt, muss gesehen werden, insbesondere von denen, die mit Lkw oder Pkw unterwegs sind“, sagt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat. Ja. Aber auch der Radler hat Augen. Es ist wichtig und richtig, es ist aller Ehren wert, die Technik zu fordern und zu fördern. Es ist jedoch nicht gut, in der Kommunikation einseitig auf diese zu setzen und ein gerüttelt Maß an Eigenverantwortung quasi zu übergehen.

Dass es geht, zeigt jetzt die in Berlin eröffneten DVR-Kampagne „Mobil im Alter“, die unter anderem den Senioren nahelegt, auch ein bisschen selber auf sich aufzupassen, O-Ton: „Gerade in der dunklen Jahreszeit ist es wichtig, sichtbar zu sein. Nutzen Sie Kleidung oder Zubehör mit reflektierenden Materialien.“ Denn dem Augenschein nach verhält sich der klassische Senior, was die Verkehrsteilnahme zu Fuß anbetrifft, in der Mode antizyklisch: Trägt er sommers Beige von der Kappe bis zur Sandale, wechselt die Garderobe mit Beginn der dunklen Jahreszeit in die Tarnfarben Anthrazit oder Schwarz.

Erich Kupfer

Foto: DVR