Wer heute über Sicherheit und Lkw diskutiert, kommt schnell auf den Abbiegeassistenten zu sprechen. Er steht zurzeit besonders im Zentrum der verkehrspolitischen Diskussion. Die Sachverständigenorganisation Dekra ist Sicherheitspartner des Bundesverkehrsministers bei der „Aktion Abbiegeassistent“ und setzt sich dafür ein, dass die Systeme möglichst schnell weiter in der Flotte verbreitet werden. „Die Unfälle, bei denen ein abbiegender Lkw-Fahrer einen Radfahrer oder Fußgänger im toten Winkel nicht sehen kann und deshalb erfasst, sind zwar verhältnismäßig selten, wir sprechen hier von rund 30 Getöteten pro Jahr in Deutschland. Allerdings haben diese Unfälle eben fast immer besonders schlimme Folgen,“ so Clemens Klinke, Vorstand bei Dekra unlängst auf der IAA Nutzfahrzeuge.
Dekra stellte schon 2004 Problemfälle beim Abbiegen vor
Aktuell bietet ein Lkw-Hersteller einen Abbiegeassistenten ab Werk an, andere sind in der Entwicklung. Außerdem sind verschiedene Nachrüstlösungen verfügbar. Sie alle überwachen den toten Winkel neben dem Lkw, den der Fahrer weder direkt noch über Spiegel einsehen kann, mit Radarsensoren bzw. Kameras und warnen den Fahrer, wenn sich dort jemand aufhält. „Einige Nachrüstlösungen haben wir in Kooperation mit Dekra-Mitgliedsunternehmen aktuell in der Praxiserprobung“, so Klinke. „Wir planen mittelfristig auch größere Testreihen, um eine konkrete Empfehlung abgeben zu können.“
Trotz seines Sicherheitspotenzials könne der Abbiegeassistent das Problem der Abbiegeunfälle aber nicht alleine lösen, betont der Dekra. Schon im Jahr 2004, als elektronische Assistenzsysteme noch Zukunftsmusik waren, haben Dekra-Experten in einem Forschungsbericht für die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Verbesserungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Abbiegeunfällen aufgezeigt. Genannt waren unter anderem akustische Warnsignalgeber am Lkw oder eine vollständige Phasentrennung des Ampel-Grünlichts zwischen Kraftfahrzeugen und Radfahrern bzw. ein Phasenverzug.
„Ein weiteres wichtiges Thema, das wir seit langem fordern, sind mitblinkende Seitenmarkierungsleuchten. Sie helfen dem Radfahrer oder Fußgänger, der sich neben dem Lkw befindet, zu erkennen, dass dieser abbiegen will.“ Seit Oktober 2015 sind zusätzliche seitliche Fahrtrichtungsanzeiger bei Lkw und Bussen über 9 Meter Länge sowie bei schweren Anhängern für neue Fahrzeugtypen vorgeschrieben. Alternativ gilt die Vorschrift als erfüllt, wenn die Seitenmarkierungsleuchten mitblinken. Dekra plädiert dafür, auch die Nachrüstung dieser Sicherheitsfunktion im Fahrzeugbestand zu forcieren.
Handlungsbedarf für den Gesetzgeber
Auch für den Gesetzgeber sieht Klinke Handlungsbedarf. Die Regelung in §5, Absatz 8 der Straßenverkehrsordnung ist aus seiner Sicht problematisch. „Sie erlaubt Rad und Mofa Fahrenden, an Lkw, die zum Beispiel an der Ampel warten, rechts vorbei zu fahren, wenn ausreichend Platz vorhanden ist. Das Problem ist aber: Dieser Platz entsteht überhaupt nur dann, wenn der Lkw sich etwas weiter links einordnet, um nach rechts abbiegen zu können“, erläutert Klinke. „Das heißt, dass ungeschützte Verkehrsteilnehmer durch diese Regelung buchstäblich in eine Falle gelockt werden. Wir fordern seit Jahren, dass dieser Absatz 8 im Interesse der Sicherheit der Radfahrer gestrichen wird.“
Wichtig ist aus Sicht von Dekra schließlich auch die Aufklärung von Radfahrern und Fußgängern über die Gefahren des toten Winkels. Das könne zum einen beispielsweise durch auffällige Aufkleber am Heck des Lkw geschehen. Eine entsprechende Kampagne stellt Dekra ebenfalls auf der IAA vor. Zum anderen sei Aufklärungsarbeit etwa an Schulen unerlässlich, so Clemens Klinke: „Unsere bundesweit 75 Dekra Niederlassungen starten in diesem Herbst eine Schul-Kampagne. Hier zeigen unsere Experten Schulkindern direkt am und im Lkw, was ein Fahrer draußen sehen kann – und was eben nicht.“
(Dekra/bic)