//Heavy Rider

Heavy Rider

Mit 25 km/h über die Schwäbische Alb trödeln – Warum nicht? Es ist nie zu spät für eine glückliche Jugend. Ein Selbsterfahrungsbericht.

Ich fühle mich wie Peter Fonda als Easy Rider: Der Fahrtwind pustet in meinen offenen Helm, ein schier endlos scheinendes Sträßchen mäandert sich vor mir durch die Landschaft und die Tachonadel klebt am Skalenende – bei 60 km/h. Doch die Tachonadel lügt. Sie hat sich bei der letzten Bodenwelle zum rechten Anschlag katapultiert und dort gemütlich eingerichtet. Es ist nicht der einzige Schwindel, denn ich reite auch keine umgebaute fette 62er Harley-Davidson FL-Panhead, wie der Filmheld meiner Jugend, sondern quäle mit meinen 95 kg Lebendgewicht ein filigranes Hercules-Mofa Baujahr 1977. Da muss man schon stolz sein, wenn es die nominale Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h auf der Ebene packt.

Vor mir liegt auch kein Highway durch Kaliforniens Wüste, sondern eine Landstraße zweiter Ordnung, die sich über die Schwäbische Alb windet. Achtung! Jetzt kommt ein sanfter Hügel, und schon braust die gertenschlanke Evelyn auf ihrem Mofa an mir vorbei. Sie hat eindeutig das bessere Leistungsgewicht. Jede Andeutung einer Steigung quittiert mein Gefährt mit rapidem Tempoverlust – „verdammtes Hüftgold“, denk ich mir.

Überhaupt, was ist das für eine schwachsinnige Idee, als alter, übergewichtiger Esel auf ein Mofa zu klettern und so zu tun, als sei man gerade 15 geworden und hätte endlich die Erlaubnis, auch motorisiert unterwegs zu sein? Das habe ich doch alles vor Jahrzehnten schon hinter mich gebracht.

Jetzt geht es wieder auf der Ebene geradeaus und beschaulich voran. Muße, die motorisierte Jugendzeit Revue passieren zu lassen und so sinniere ich vor mich hin: Mit zwölf hat mich in Frankreich der Gastwirtssohn unserer Ferienpension auf seiner 1957er Solex 1010 die ersten Runden drehen lassen. Zwei, drei Jahre später lieh mir ein Klassenkamerad sein NSU Quickly für eine Spritztour und dann – endlich – mit 16 machte ich den Führerschein der Klasse 4 und stieg auf zum Moped: Kreidler Florett mit 4,2 PS und Viergangschaltung. An guten Tagen schrammte ich damit die 80 km/h Marke; nun ja, bergab mit Rückenwind, angelegtem Seitenspiegel und der Körperhaltung von Rekordfahrer Hans-Georg Anscheidt. Es folgten eine eigene BMW R25/3 (13 PS!); später Honda CB 400 und was der Leiter des Testfuhrparks der Zeitschrift „Motorrad“ mir sonst noch anvertraute. 

Und jetzt? Meine Harley heute heißt Herkules M5. Immerhin die Hardcore-Variante mit Zweigang-Handschaltung haben sie mir untergeschoben. Ihr kreischend-knätterndes aber als unverwüstlich geltendes Fichtel&Sachs-Motörchen hat in seinen besten Zeiten 1,3 PS zuwege gebracht. Doch ich fühle mich wie ein König auf dieser lächerlich untermotorisierten Kreissäge, auf der ich hocke wie der sprichwörtliche Aff‘ auf dem Schleifstein. Den neun anderen Mitfahrern um mich rum geht es ebenso. Die Jungen haben ihre Gaudi, die Älteren genießen ihr Déjà-vu. Die Truppe ist bunt gemischt: eine Mutter, die von ihren Kindern die Tour zum Geburtstag geschenkt bekam und nebst familiärem Anhang die Tour genießt, zwei Paare mittleren Alters – ich bin nicht nur der gesichtsälteste. 

Vor drei Stunden sind wir in Auingen, einem 3.000-Seelen-Teilort von Münsingen, gestartet. Laut Fremdenverkehrswerbung „eine Kleinstadtperle im Einklang mit der Natur und ihrer ganz eigenen Geschichte, umgeben von der einmaligen Kulturlandschaft des Biosphärengebiets Schwäbische Alb.“ Gebucht haben wir bei der Firma Rad-der-Zeit die Rundfahrt Süd. Diese führt über knapp 70 Kilometer durch Natur pur und dauert rund fünf Stunden. 95 Euro kostet der Spaß; Kaffee und Kuchen nebst Eis bei den Zwischenstopps inklusive. Organisiert wird das Ganze von Veit Senner. Er hat das Unternehmen 2017 gegründet und ist damit offenbar in eine Marktlücke gestoßen. Rund 125 Mofas, vorzugsweise von Hercules, aber auch Rixe und SIS hat er in seinem Stall und allein im Juli dieses Jahres tourten damit gut 600 Mofa-Enthusiasten durch die Lande. Für potentielle Mittourer:  https://rad-der-zeit.eu/

Dabei versteht Senner sich weder als Mofa-Verleih noch als Fahrbetrieb. „Wir organisieren halb-­ oder ganztägige Ausflüge zu weniger bekannten Orten, Manufakturen, Museen und landschaftlichen Perlen der Alb“, erklärt er sein Konzept und fügt an: „Das ermöglicht Gespräche mit interessanten Menschen, die dort ihr Ding machen.“

Einen der Orte, an dem interessante Menschen „ihr Ding machen“, haben wir schon hinter uns: Im Albgut am ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen hat sich eine alternative Szene etabliert. In der alten Kaserne finden sich Manufakturen für Seifen, Essig und Öl, handwerkliche Wollverarbeitung oder die Gebäckspezialität Springerle. Unser Tourleiter Felix, ein stämmiger 16jähriger Gymnasiast, der sich als Guide das Taschengeld aufbessert, erklärt beim ersten Zwischenstopp die Historie der Anlage: Truppenübungsplatz und Kaserne. Ab 1895 für Königlich-Württembergische Landser, später französische Soldaten und dann vorübergehend Bundeswehr-Standort. Zur ausführlichen Besichtigung reicht die Zeit leider nicht, denn es geht nun über Stock und Stein zur Burgruine Hohengundelfingen. Hier gibt’s, wovon jeder Reiseführer schwärmt: den weiten Blick über die malerische Landschaft.

Weiter geht’s und uns begegnen ein paar Radfahrer, die angesichts unserer lautstarken Untersätze pikiert die Nase rümpfen. Ihr Blick verrät es: „Muss das sein?“ Die Frage ist berechtigt. Aus Jux und Dollerei mit Mofas durch Feld und Flur düsen. Darf man das in umweltbewussten Zeiten mit gutem Gewissen? Senner ist das Dilemma klar und so hat er seinen Kompromiss gefunden. Die Mofas laufen mit Ökosprit, der auch für Motorsägen und ähnliches Forstgerät zugelassen ist. Kein billiges Vergnügen, selbst im Großgebinde fallen knapp fünf Euro für den Liter Edel-Kraftstoff an; olfaktorisch ist er dennoch nicht die wahre Freude. Akustisch unfreundlicher ist ein Tross „echter Motorradfahrer“, dem wir begegnen. Felix hebt freundlich die Hand zum Bikergruß, doch die lederverpackten Kerle ignorieren uns. „Kindergarten“ denken sie wohl.

Uns ficht’s nicht an, wir haben einfach Spaß. Spaß am Fahren und an der Landschaft. Selbst ein kurzer Regenschauer trübt die Stimmung nicht. Wir können nachempfinden, was Senner meint, wenn er sagt: „Ich will den Tourgästen die weniger bekannten und trotzdem sehenswerten Orte rund um Münsingen zeigen.“ Und davon gibt es etliche: „Wir haben 144 Ziele. Pro Rundfahrt machen wir ein oder zwei Besichtigungsstopps, teilweise auch in privaten Museen, die extra für uns öffnen“. Streckenvarianten gibt es ebenfalls reichlich. Ob Rundfahrt Süd, Rundfahrt West oder große Rundfahrt – für jeden ist was dabei.

Für die ganz hartgesottenen „Eisenärsche“ gab es letztes Jahr eine Tour vom Schwarzwald über Berlin bis an den Timmendorfer Strand. Stattliche 1.250 Kilometer binnen elf Tagen hat die 16köpfige Truppe unter die schmalen Reifen genommen – alle haben durchgehalten, selbst von den betagten Mofas hat keines wirklich schlapp gemacht.

Die Tour setzte um, was fiktional in dem Spielfilm „25 km/h“ aus dem Jahr 2018, mit Lars Eidinger und Bjarne Mädel in den Hauptrollen, stattfand. Und dass diese verrückte Filmidee tatsächlich realisierbar ist, hat Senner und die Seinen mutig gemacht: Nächsten Pfingsten soll’s an die italiensiche Adria nach Rimini gehen. Verlockend – aber das lass‘ ich trotz aller Begeisterung für die heutige Ausfahrt lieber. Vielleicht doch mal die Große Rundfahrt durchs Tal der Burgen – wer weiß.                                                      

Text + Fotos /fps