Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) hat sich mit seiner „Arena“ genannten Expertenkonferenz am 13. Dezember in Berlin mit der Lage im Güterkraftverkehr beschäftigt. Und zwar auf eine Weise, die für die Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland ungewöhnlich, aber eigentlich naheliegend ist: Es ging um miserable Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern. Zur Eröffnung der Veranstaltung, deren Titel „Zeitdruck, knappe Parkplätze, Fahrpersonalmangel – eine Herausforderung für die Verkehrssicherheit“ bereits die Problemlage umriss, kam DVR-Präsident Manfred Wirsch gleich zur Sache. Er sagte: Die Logistikbranche im Straßengüterverkehr sei ein „knallhartes Geschäft mit enormem Preis- und Zeitdruck“, und der billigste Anbieter sei „in den seltensten Fällen“ auch derjenige, der für Sicherheit sorgt.
Jährlich ereignen sich 24.000 Lkw-Unfälle mit Personenschaden in Deutschland. Dabei verlieren 600 Menschen ihr Leben. Die gängigsten Ursachen sind Müdigkeit, Stress, Ablenkung. Wie die Situation zu verbessern ist, sollten die Redner bei der Berliner DVR-Veranstaltung diskutieren.
Als erster referierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Henning Rehbaum. Er hält die Logistik für systemrelevant. Zur Versorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung mit Gütern gebe es „keine Alternative“ zum Lastwagen. Laut Rehbaum, der vor seiner Tätigkeit als Parlamentarier eine Speditionsfirma leitete, fehlen aktuell 60.000 bis 80.000 ausgebildete Fahrer. Dieses riesige Defizit lasse sich nach Auffassung des CDU-Politikers nur mit Arbeitskräften aus dem Ausland kompensieren, die leichter eine Arbeitserlaubnis erhalten sollten. Auch die in Deutschland geltenden Ausbildungszeiten für Lkw-Fahrer von rund zehn Monaten sollten nach dem Vorbild Österreichs auf einige Wochen verkürzt werden. In punkto Arbeitsbedingungen legt Rehbaum den Schwerpunkt auf den Ausbau von Stellplätzen, von denen Zehntausende jeden Tag fehlten. Zudem fordert Rehbaum den Ausbau der Autobahnen, um den vielen Staus und damit dem Problem der Übermüdung der Berufskraftfahrer entgegenzuwirken.
Dirk Engelhardt, Vorsitzender des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) mit über 7.000 Mitgliedsunternehmen, kritisierte, daß Fuhrparks derzeit abgebaut oder Transportaufträge nicht angenommen werden könnten, nur weil es an Fahrern fehle. Den Verbrauchern drohten deshalb sogar leere Supermarktregale wie in England.
Wie prekär die Lage der Berufskraftfahrer wirklich ist, schilderten bei der DVR-Arena zwei Polizisten. Vanessa Kuhlage stellte die Ergebnisse ihrer Abschlussarbeit an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen vor, für die sie mit gut 150 Lkw-Fahrern Interviews über den Parkplatzmangel geführt hatte.
Mehr als 80 Prozent gaben an, mindestens einmal ihren Lkw im Parkverbot fernab der Autobahn abgestellt zu haben, über 40 Prozent hatten sogar schon auf einer Autobahnauf- oder -abfahrt in ihrem Fahrzeug übernachtet. Zu diesem so hochgefährlichen wie illegalen Tun sind die Lkw-Fahrer geradezu gezwungen, merkte Kuhlage an. Ihre einzige Alternative bestehe darin, bis zum nächsten freien Stellplatz weiterzufahren, auch wenn darüber die Augen zufallen. Immerhin erklärten zwei von drei Befragten, am Steuer bereits eingeschlafen zu sein. 94 Prozent beurteilten ihre Situation insgesamt als „absolut verkehrsgefährdend“.
Laut offiziellen Statistiken starben in den Jahren 2016 bis 2021 insgesamt 44 Menschen bei einem Unfall und 870 wurden verletzt, weil ein Lkw auf der Autobahn falsch geparkt oder der Fahrer eingenickt war. Die Brummifahrer fordern in den Interviews nahezu unisono ausreichend große und beleuchtete Stellplätze, die ruhig und nicht abschüssig gelegen sind, über geeignete sanitäre Anlagen verfügen und mit Restaurants und Geschäften mit gutem Angebot ausgestattet sind.
Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen
Ein erschreckendes Bild der Lage auf den Autobahnen zeichnete Raymond Lausberg. Der Polizist aus dem belgischen Lüttich berichtete, bei Lkw-Kontrollen nicht selten auf Fahrer osteuropäischer Unternehmen zu stoßen, die acht und mehr Wochen nonstop durch Europa tourten. Ihre „Freizeit“ verbrächten sie in der Kabine ihres Lkw oder in menschenunwürdigen Unterkünften. Er trifft auch auf Fahrer, die ihre wöchentliche Lenkzeit um 45 Stunden überzogen haben. Lausberg spricht von Frust, Alkohol- und Drogenabhängigkeit.
Er berichtete von schweren technischen Mängeln am Fahrzeug, die früher oder später zu einem Unglück führen müssen. Er berichtete von miserabler Bezahlung, von schlecht ausgebildeten und systematisch überlasteten Fahrern. Von gefälschten Dokumenten, manipulierten Fahrtenschreibern und viel zu seltenen Kontrollen, weil es an ausreichend geschulten Polizisten fehlt. Er berichtet von Speditionen, die als Briefkastenfirma ihren Sitz in einem osteuropäischen Land hätten, um Sozialdumping zu betreiben und für ihre Auftraggeber Preise anzubieten, bei denen kein westeuropäischer Wettbewerber mithalten könne. Lausberg berichtet von deutschen Behörden, die Bußgeldbescheide an Firmen ins Ausland schicken und keine Zahlung erhalten, während in anderen Ländern ein Lkw aus dem Ausland so lange stillgelegt wird, bis das Bußgeld bezahlt ist.
Es wäre jedoch falsch, merkte bei der DVR-Arena ein Vertreter der Gewerkschaft Verdi an, den Finger allein auf die osteuropäischen Spediteure zu richten. Denn deren Auftraggeber seien Konzerne in Westeuropa.
Ein zum Ende der Veranstaltung sichtlich bestürzter DVR-Präsident versprach den rund 200 Arena-Teilnehmern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Verbänden, die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern und die Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit „mit Nachdruck“ in Berlin und Brüssel anzusprechen.
Kristian Glaser (kb)
Foto: Abschließende Podiumsdiskussion der DVR-Arena, Foto Georg Strohbücker