Das Umweltbundesamt, das Forschungsinstitut des Bundesministeriums für Umwelt, hat eine Studie in Auftrag gegeben, die die Verträglichkeit der verkehrspolitisch geplanten Verkehrswende mit dem Verfassungsrecht des Grundgesetzes vergleicht. Diese Ergebnisse wurden aktuell vorgelegt und sollten dringend öffentlich diskutiert werden. Der Verfasser der Studie des Umweltbundesamtes, Stefan Klinski, ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und ein durch mehrere Forschungsprojekte ausgewiesener Experte für Wirtschaftsrecht, Umweltrecht und Verfassungsrecht.
Die Ziele der Bundesregierung im Koalitionsvertrag
Die Ampelkoalition beschloss in ihrem Koalitionsvertrag nicht mehr und nicht weniger als den Versuch einer Quadratur des Kreises, wenn die drei Parteien formulierten:
„Wir werden Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen.“ (Koalitionsvertrag, Seite 52)
Genau an diesen 5 Zielen sind die Parteien festzuhalten:
• Flüssigkeit des Verkehrs,
• Sicherheit des Verkehrs,
• Förderung des Klima- und Umweltschutzes durch Regelungen für den Verkehr,
• Förderung der Gesundheit durch Regelungen für den Verkehr und
• Förderung der städtebaulichen Entwicklung durch Regelungen für den Verkehr.
Aufgrund der politischen Inhalte ist die effektive Zusammenarbeit von gleich fünf Bundesministerien erforderlich:
• Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Dr. Volker Wissing, FDP),
• Bundesministerium der Justiz (Dr. Marco Buschmann, FDP),
• Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen),
• Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (Klara Geywitz, SPD),
• Bundesministerium für Gesundheit (Prof. Dr. Karl Lauterbach, SPD).
Am politischen Willen dürfte es laut Koalitionsvertrag nicht scheitern, gleichwohl fehlt bislang jegliche Initiative in diese Richtung.
Verfassung und Straßenverkehr
Nach Auffassung des Verfassers der Studie können sämtliche aufgeführten politischen Ziele durch Gesetze und Verordnungen umgesetzt werden, die allesamt verfassungsrechtlich auf Artikel 74 Absatz 1 Nr. 22 des Grundgesetzes (GG) gestützt werden können. Diese Gesetzgebungskompetenz stammt aus dem Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes und der Länder (das heißt, wenn der Bund regelt, darf ein Land keine zusätzlichen Regelungen treffen) und gibt dem Bund das Recht, Regelungen für den Straßenverkehr zu treffen. Diese umfassen nach Ansicht von Klinski alle im Koalitionsvertrag verbindlich vereinbarten Ziele.
Dabei handelt es sich zugegebenermaßen um eine sehr weite, aber dennoch sehr wohl juristisch vertretbare Auslegung der angesprochenen Gesetzgebungskompetenz, der sich auch der Schreiber dieser Zeilen anschließt.
Ganz zentral ist jedoch nach wie vor das Ziel, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Menschen auf den Straßen zu schützen und damit deren Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mittels des Grundprinzips der „Vision Zero“ umzusetzen.
Kernpunkte der Reform
Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) ist das zentrale Gesetz für das Straßenverkehrsrecht und beinhaltet die wichtigsten Normen sämtlicher Rechtsgebiete, die für Regelungen von Verkehrsfragen erforderlich sind. Man findet darin:
• Ermächtigungsnormen für den Erlass von Verordnungen,
• Verkehrsverwaltungsrecht,
• Fahrerlaubnisrecht und Fahreignungsrecht,
• Fahrzeugzulassungsrecht,
• Zivilrecht,
• Strafrecht und
• Ordnungswidrigkeitenrecht.
Wenn das Straßenverkehrsrecht grundlegend reformiert werden soll, funktioniert dies nur mit einem generalüberholten StVG. Da die Bearbeitungskompetenzen dieser Rechtsgebiete in erster Linie im Bundesverkehrsministerium zu finden sind, müsst sich der Bundesverkehrsminister, Dr. Wissing, den Hut für das Reformvorhaben aufsetzen.
Klinski benennt vollkommen zu Recht die bisherige eng begrenzte Sichtweise der bisherigen Bundesverkehrsminister auf die Gefahren im Straßenverkehr als Hemmschuh für die Fortentwicklung des Straßenverkehrsrechts. Klimaschutz, gefördert durch ein modernes Straßenverkehrsrecht, wäre jederzeit möglich und juristisch zulässig. Vielmehr wird dieser sogar zwingend gefordert durch die Staatszielbestimmung des Artikel 20a Grundgesetz, der nicht mehr und nicht weniger erwartet als den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, und zwar durch die effektive und effiziente Tätigkeit aller drei Staatsgewalten.
Ein weiterer Gedanke wäre es, den Kommunen über eine allseits als notwendig angesehene Reform der Vorschrift des Paragraf 45 StVO, die einen breit angelegten Katalog von Regelungskompetenzen der Kommunen im Straßenverkehr eröffnet, mehr Gestaltungsfreiheiten zu überlassen. Das wird zwar vehement von den Kommunen gefordert, aber bislang beharrlich und vor allem ohne jeglichen sachlichen Grund vom Bundesverordnungsgeber verweigert.
Allerdings erfordert eine solche universale Sichtweise für eine umfassende Reform notwendigerweise den berühmten „Blick über den Tellerrand“ der eigenen Profession, ein (selbst-)kritisches Hinterfragen der bisherigen Initiativen und nicht zuletzt auch einen interdisziplinär angelegten Problemlösungsprozess. Ein solcher ist in der Politik der aktuellen Bundesregierung nicht sichtbar und was noch deutlich prekärer ist: Er wird nicht einmal angedacht. Es fehlt allenthalben an „Machern“, die nicht nur Probleme sehen, sondern Lösungen suchen und anbieten.
Erwähnenswert ist ebenfalls die Tatsache, dass sich der Deutsche Bundestag als Legislative mit eigenen Initiativen für eine Reform des Straßenverkehrsrechts in den vergangenen Jahrzehnten galant zurückgehalten und das politische Feld nahezu vollständig der Exekutive überlassen hat. Diese Tatsache ist auch aus Gründen der in einem Rechtsstaat so notwendigen Gewaltenteilung bedenklich.
Fazit
Ein jeder, der diese Zeilen gelesen hat, wird verstehen, dass einer grundlegenden Reform des Straßenverkehrsrechts keine unüberwindbaren rechtlichen Hürden entgegenstehen. Zudem darf jeder von Ihnen gerne abgleichen, welche Schritte die Koalition in die angepeilte Richtung bereits gegangen ist und – vor allem – welche Schritte bislang unterlassen wurden.
Der Verfasser dieser Zeilen erwartet allerdings von der aktuellen Bundesregierung – ebenso wie durch die drei vorangegangenen Bundesregierungen vorgelebt – keine entscheidenden Schritte in die für uns alle notwendige Richtung. Grund dafür ist allein schon die Zusammensetzung der erforderlichen Abstimmungen zwischen allen drei Koalitionspartnern, die sich auch bei diesem notwendigen Vorhaben einmal mehr gegenseitig blockieren dürften.
Vor diesem Hintergrund fehlen auch mahnende Einwürfe aus den Bundesländern, der Opposition im Deutschen Bundestag und den Abgeordneten der Regierungskoalition, die aktuell jegliche politische Initiative für eine grundlegende Reform des Straßenverkehrsrechts in Richtung einer Modernisierung vermissen lassen. Auf diese Weise geraten die beiden Oberziele der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes mehr und mehr ins Hintertreffen und es werden anstatt dessen so absurde Gedanken wie die Aufweichung des Schutzes der Verkehrsteilnehmer durch eine allgemeine Förderung des Genusses von Cannabis geäußert, die den Straßenverkehr weder sicherer machen, noch in irgendeiner Weise den Umweltgedanken fördern werden.
Alles in allem bietet die aktuelle Verkehrspolitik auch vor dem Hintergrund der hier vorgestellten exzellenten Studie ein Bild des Grauens.
Weiterführende Links
Studie des Umweltbundesamtes
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Koalitionsvertrag
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Artikel 74 GG
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik
Foto: Ditto Shafarnahariy / Pixabay