Streckensprecherlegende und VdM-Mitglied Dieter Braun gratulierte bei der Übertragung des 24h-Rennens von Le Mans am 11. Juni 2023 so nebenbei Herbert Linge zum 95. Geburtstag. Da wurden bei mir Erinnerungen wach. Zuletzt hatte ich Herbert Linge bei der Eröffnung der Ausstellung ‚Solitude‘ 2021 erlebt. Frisch und munter referierte er über seine aktive Rennfahrerzeit und die Zeit danach, in der er sich in Sachen Unfallrettung an Rennstrecken eingesetzt und die ONS-Rettungsstaffel gegründet hatte.
Waren es 1958 noch vier Tote Formel 1-Fahrer in nur einer Saison, so ist heute die Überlebenschance bei einem Unfall fast 100 Prozent. Die Chance, bei Rennunfällen heil davon zu kommen, hat sich aufgrund der heutigen Maßnahmen und dank der von Herbert Linge eingeleiteten Aktivitäten stark erhöht.
Für mich war die Freude riesig, Linge bei der Jubiläumsfeier des Nürburgrings vor fünf Jahren mal wieder sehen. Marianne Genn, ehemals Chefsekretärin vieler Nürburgringbosse, Wolfgang Kaufmann, der bekannte Rennfahrer aus dem Westerwald, die heutige Chefsekretärin Susanne Kettel, die Streckensprecher Rainer Braun oder auch der Formel 1-Weltmeister Jacky Stewart – alle zollten Herbert Linge ihren Respekt.
Herbert Linge aus der Porsche Stadt Weissach hat viele Rennen als Rennfahrer bestritten und war aktiv beim Aufbau der ONS- Rettungsstaffel. Zusammen mit dem Stuttgarter Hans Herrmann etwa nahm er 1954 an der berühmten Mille Miglia, dem Langstreckenrennen durch Italien, teil und unterquerte mit eingezogenem Kopf in einem Porsche Spyder eine geschlossene Bahnschranke. Übrigens, auch Hans Hermann ist in diesem Jahr 95 geworden.
Herbert Linge ist trotz seiner motorsportlichen Erfolge, seiner Arbeit als Betriebsleiter des Porsche Versuchszentrums in Weissach oder als gefragter Retter vieler Rennfahrer auf dem Teppich geblieben: Halt ein Schwabe mit „Stallgeruch“ in der Motorsportszene.
Gründung der Rettungsstaffel
Streckensprecher Rainer Braun aus Much und Herbert Linge sind freundschaftlich verbunden. In seinem Buch „Hallo Fahrerlager 3“ schreibt Rainer Braun über das Lebenswerk von Herbert Linge: „Der Aufbau der mobilen Rettungsstaffel mit geschultem Personal gilt als das ganz große Lebenswerk des ehemaligen Porsche-Rennfahrers, der für sein Engagement sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wird. Angefangen hat alles mit einer Eigeninitiative des Werkstatt-Meisters und Betriebsleiters in der Weissacher Porsche-Versuchsabteilung. Herbert Linge konnte und wollte nicht mehr länger mit ansehen, wie Rennfahrer-Kollegen nach Unfällen hilflos in brennenden Autos sitzen und den Feuertod sterben. Als erste Sofortmaßnahme lässt er 1972 einen ausrangierten Porsche 914/6 aus der Versuchsabteilung zum schnellen Feuerwehrauto umbauen. Unter der Heckklappe wird eine 120 Kilo Halon-Löschanlage mit acht Metern Schlauch und einem garantierten Aktionsradius von 20 Metern als Maßanfertigung der Firma „Deugra“ eingepasst. An Bord befinden sich außerdem eine hydraulische Presse, Blechscheren, eine Seilwinde, eine Säge und sonstiges Bergungswerkzeug. Und natürlich Sprechfunk.“
Schon 1972 kommt der Rettungswagen bei einem spektakulären Unfall eingangs der Boxengasse zum Einsatz. Bei einem Interserie-Rennen fliegt der Ferrari des Schweizers Herbert Müller nach einer Startkollision in die Boxengasse und explodiert in einem riesigen Feuerball. Nach wenigen Sekunden trifft Linge mit dem Rettungswagen ein und erledigt mit der eingebauten Halon-Kanone die Löschung des Ferraris. Herbert Müller hat sich vorher befreien können und wird von einem Streckenposten gelöscht.
Als Zuschauer habe ich Herbert Linge immer wieder erlebt: Er fuhr viele 1000 km-Rennen auf dem Nürburgring mit. Aber er war nicht nur Rennfahrer, sondern auch Techniker und vor allem Versuchsfahrer. 1970 avancierte Linge zum Betriebsleiter des Porsche Versuchszentrums in Weissach. 1928 in Weissach geboren hatte Linge mit dafür gesorgt, dass das Versuchszentrum nach Weissach kam. Die Stadt Weissach ernannte ihn dafür später zum Ehrenbürger. Mit Porsche ist Herbert Linge seit 1943 verbunden, er begann damals dort seine Lehre als Kraftfahrzeugmechaniker und lernte auch noch den Ur-Vater der Porsche Ära Prof. Dr. Ferdinand Porsche persönlich kennen.
Klaus Ridder
Titelfoto: Herbert Linge löscht mit seiner Halon-Löschkanone den Ferrari von Herbert Müller, Archiv Ridder