//61. Verkehrsgerichtstag in Goslar

61. Verkehrsgerichtstag in Goslar

Vom Datenschutz über die Halterhaftung bis zur Schweigepflicht

Der Deutsche Verkehrsgerichtstag findet traditionell zu Beginn eines jeden Jahres in Goslar statt. Hier treffen sich Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, Richter und Anwälte, aber auch Verkehrssicherheitsexperten, Verwaltungs- und Polizeibeamte sowie Verbraucherschützer und Vertreter von Automobil- und Versicherungsunternehmen, um heiße Eisen des Verkehrsrechts, der Verkehrssicherheit und allgemein der Verkehrsentwicklung anzufassen. Erwartet werden bis zu 2.000 Teilnehmer. Die in thematischen Arbeitskreisen (AK) geführten Diskussionen münden in Empfehlungen, die nicht zuletzt die Gesetzgebung beeinflussen. Verkehrsgerichtstage führten etwa zur Gurtpflicht, zum Fahren mit 17 und zum Verbot, Unfallopfer zu fotographieren.

2022 ging es neben anderem um mehr Radwege und die Anhebung des Cannabisgrenzwertes. Nachdem die Coronapandemie die Verschiebung vom Januar in den August erzwungen hatte, findet das Expertentreffen 2023 wieder wie gewohnt Ende Januar, vom 25. bis 27., in Goslar statt. In diesem Jahr hat der Veranstalter, der Verein Deutscher Verkehrsgerichtstag – Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft mit Sitz in Hamburg, erneut brisante Themen aufgegriffen.

Es geht um Datenschutz und Künstliche Intelligenz, Halterhaftung und Elektrostehroller sowie um die ärztliche Schweigepflicht. Für die diskussionsleitenden Referate in den acht Arbeitskreisen wurden hochkarätige Fachleute eingeladen, darunter ein Richter des Bundesgerichtshofs, Lehrstuhlinhaber von Universitäten, Ministerialbeamte und Präsidenten von Verbänden wie dem ADAC, dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat oder dem Verband der Automobilindustrie.

Der Titel von Arbeitskreis I lautet schlicht „Fahrzeugdaten“. Es geht um die spannungsreichen Fragen, wem die von den Autos gesammelten Daten eigentlich gehören, wie sicher sie gespeichert werden müssen und wer Zugriff hat. Gegen ein faktisches Datenmonopol der Autohersteller rennen Versicherungswirtschaft, Polizei und Verbraucherschützer an. Die Assekuranzen wittern ihrerseits ein großes Geschäft mit den Daten ihrer Kunden und erhoffen sich, ähnlich wie die Polizei, bessere Erkenntnisse über Unfallursachen, während Verbraucherschützer auf den Datenschutz und die informationelle Selbstbestimmung der Verkehrsteilnehmer pochen.

Konflikt um Halterhaftung
Der zweite AK behandelt einen schwelenden Konflikt zwischen der EU und der Bundesrepublik. In Brüssel ist eine einheitliche Regelung zur grenzüberschreitenden Verfolgung von Verkehrsdelikten wie zu schnelles Fahren in Planung. Dabei soll die sogenannte Halterhaftung gelten. Das heißt, egal wer zur Tatzeit am Steuer saß, der Autobesitzer soll zur Rechenschaft gezogen werden können. Dies widerspricht jedoch dem im Grundgesetz verankerten Rechtsstaatsprinzip, wonach nur derjenige rechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, dem ein Fehlverhalten nachgewiesen wird. Die Befürworter der Halterhaftung bringen eine effizientere Verfolgung von Verkehrsverstößen durch die Behörden in Anschlag.

In AK III findet ein seit Jahren geführter Streit seine Fortsetzung, der sich um die Frage dreht: Wer haftet, wenn ein autonomes Fahrzeug einen Unfall verursacht: der Autofahrer beziehungsweise die Haftpflichtversicherung oder der Autohersteller beziehungsweise dessen Zulieferer? Der Arbeitskreis wird Vorschläge der EU-Kommission und des EU-Parlaments beraten, die auf eine EU-weite Hersteller- und Produkthaftung abzielen.
Hinter dem trockenen Titel „Reparaturkostenersatz beim Haftpflichtschaden“ des vierten Arbeitskreises verbirgt sich das von den Kfz-Versicherern vorangetriebene Anliegen, das Recht eines Unfallgeschädigten bei der Schadenregulierung seines Autos zu beschränken.

Konkret geht es um die sogenannte 130-Prozent-Regel. Die besagt, dass die Reparatur eines Unfallautos auch dann von der Versicherung des Unfallverursachers bezahlt werden muss, wenn die Werkstattkosten bis zu 30 Prozent über dem Wiederbeschaffungswert des Wagens liegen. Begründet wird die Faustformel damit, dass der Besitzer mit seinem alten Auto in der Regel gut vertraut ist und es ungern abgibt. Doch den Versicherungen sind die Kosten zu hoch, zumal sie der Auffassung sind, dass Werkstätten auch „objektiv nicht notwendige Arbeiten“ abrechneten. In ihrer Argumentation beziehen sie sich auf einen gesellschaftlichen Wertewandel, durch den das Auto nicht mehr so sehr als Statussymbol wahrgenommen werde, sondern als Gebrauchsgegenstand.

Der fünfte Goslarer Arbeitskreis wird sich mit der Sicherheit von E-Stehrollern beschäftigen. Verhandelt wird, ob die Einordnung der Roller als Kraftfahrzeuge auch bedeutet, dass wie bei Autos die 1,1-Promille-Grenze gilt, wie von einigen Gerichten vertreten wird. Aus der Wissenschaft ist aber bekannt, dass man bereits nach wenig Alkohol kaum noch in der Lage ist, die instabilen E-Stehroller mit ihren kleinen Rädern sicher durch den Verkehr zu lenken. Ferner soll erörtert werden, ob einem E-Stehroller-Fahrer beispielsweise nach einer Trunkenheitsfahrt der Pkw-Führerschein entzogen werden darf, auch wenn man für die Roller selbst gar keine Fahrerlaubnis benötigt.
Aushöhlung der Schweigepflicht?

Der sechste AK behandelt die „Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte von fahrungeeigneten Personen“, womit in erster Linie ältere Menschen gemeint sind. Die Pro-Seite in der Kontroverse will Menschen mit riskantem Fahrverhalten wortwörtlich aus dem Autoverkehr ziehen, während die Contra-Seite die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme anhand von Beispielen aus anderen Ländern bezweifelt und darüber hinaus die ärztliche Schweigepflicht und ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient verteidigt.

Mehr als ein Schönheitsfehler in der Organisation dieses Arbeitskreises: Unter den Referenten befindet sich kein Vertreter eines Patienten- oder Seniorenverbandes.
Im siebten AK beschäftigt man sich wiederum mit der Halterhaftung, diesmal im Zusammenhang mit der Auflage, ein Fahrtenbuch zu führen. Dazu kann der Besitzer eines Autos verdonnert werden, mit dem ein nicht ermittelbarer Täter eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. Ist das die Einführung der Halterhaftung durch die Hintertür? Die Befürworter der Regelung meinen, dass sich dadurch Verkehrsunfälle verhindern ließen, was von den Gegnern bestritten wird. Die sehen ferner das Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrecht gefährdet.

Der letzte Arbeitskreis wendet sich traditionell einer Thematik außerhalb des Straßenverkehrs zu. Dieses Jahr reflektieren die Teilnehmer den „schmalen Grad zwischen Fehler und Verstoß im Luftverkehr“. Befasst werden Fragen wie „Warum Fehler für die Verbesserung der Flugsicherheit auch gut sein können“ und „Stehen Flugsicherheit und Strafverfolgungsinteresse tatsächlich im Widerspruch?“

Beate M. Glaser/Kristian Glaser (kb)
Foto: Verkehrsgerichtstag