//Müllers Kolumne: Vorbild sein!

Müllers Kolumne: Vorbild sein!

Kinder sind Anfänger im Straßenverkehr. Sie bedürfen einer sorgfältigen Anleitung in der Verkehrserziehung, die nur von allen an der Erziehung beteiligten Personen gemeinsam bewältigt werden kann. Daher müssen Erziehungsberechtigte, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer an einem Strang ziehen und sich selbst auf einem aktuellen Stand befinden. Nicht oft genug kann dabei die Vorbildfunktion von Erwachsenen betont werden, und zwar als Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer. „Kindermund tut Wahrheit kund!“ und so nehmen Kinder nicht selten die Schimpfworte ihrer Eltern auf, die diese am Steuer ihres Kraftfahrzeugs beiläufig und oft sehr emotional ausgesprochen haben.

Wie verhalten sich Kinder?

Kinder laufen erfahrungsgemäß dort häufiger unvermittelt auf die Fahrbahn, wo sie spielerisch abgelenkt sind und nicht auf den Fahrverkehr achten. Dazu genügt bereits die Anwesenheit anderer Kinder, aber auch andere visuelle Reize aus anderen Bereichen des Verkehrsraums reichen dazu aus. An denjenigen Orten, an denen sich also zumeist mehrere Kinder versammeln wie zum Beispiel an Kindergärten, Schulen und Freizeiteinrichtungen, wie Spielplätzen, kann sich die Anordnung des Gefahrzeichens 136 „Kinder“ empfehlen.

Welche Vorschriften gelten insbesondere gegenüber Kindern?

Grundsätzlich verpflichtet das Gefahrenzeichen 136 „Kinder“ jeden Kraftfahrer, seine Fahrweise so einzurichten, dass er in der Lage ist, sein Kraftfahrzeug jederzeit vor plötzlich auftauchenden Kindern anzuhalten. Eine feste Regel für die Höchstgeschwindigkeit im Schutzbereich des Gefahrzeichens „Kinder“ kann allerdings nicht aufgestellt werden. Die Geschwindigkeit muss sich in den Fällen dieser Verkehrsregelung vielmehr nach den jeweiligen Umständen richten und hängt deshalb weitgehend davon ab, welchen seitlichen Abstand der Kraftfahrer von Sichthindernissen am Straßenrand einhalten kann, hinter denen plötzlich ein Kind auftauchen und auf die Fahrbahn laufen kann.
Die Anordnung des Zeichens 136 korrespondiert mit der Vorschrift des § 3 Abs. 2a StVO. Nach dieser Vorschrift muss derjenige, der ein Fahrzeug führt, sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Durch diese Vorschrift ist eine gegenüber dem Regelfall erhöhte Sorgfaltspflicht begründet worden, die den Vertrauensgrundsatz, dass sich auch die anderen Verkehrsteilnehmer regel- und interessensgerecht verhalten, weiter einschränkt. Dabei hängt das Ausmaß der erhöhten Sorgfaltspflicht von der für den Fahrzeugführer erkennbaren Altersstufe eines Kindes ab, aus der auf den Grad der Verkehrsreife und den Umfang der bereits erfolgten Verkehrserziehung geschlossen werden kann.

Was ist in besonderen Situationen zu beachten?

Kraftfahrer haben im Bereich einer Schule nebst dort befindlicher Bushaltestelle auch bei einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ihre Geschwindigkeit auf unter 20 km/h zu reduzieren und auf dem Gehweg befindliche Kinder stets im Blick zu behalten, wenn das Gefahrenzeichen 136 („Kinder“) aufgestellt ist. Gegenüber Autofahrern gilt bei einem Unfall mit einem (Schul-)Kind daher ein Anscheinsbeweis für ihr Verschulden aus § 3 Abs. 2a StVO.
Darüber hinaus weist das Gefahrenzeichen 136 den Kraftfahrer grundsätzlich ohne jede zeitliche Einschränkung darauf hin, dass er mit dem plötzlichen Betreten der Fahrbahn durch Kinder zu rechnen und deshalb seine Fahrweise durch Bremsbereitschaft und erforderlichenfalls durch Reduzierung der Geschwindigkeit wie bei einer konkreten Gefahrenlage im Sinne des § 3 Abs. 2a StVO einzurichten hat. Auf Grund des Zeichens 136 muss sich ein Kraftfahrzeugführer sogar darauf einrichten, dass für ihn zunächst nicht sichtbare Kinder hinter haltenden Bussen plötzlich auf die Fahrbahn rennen. Diesen höchstrichterlichen Auslegungsregeln folgend müssen Kraftfahrzeugführer also ihren Fahrstil auf den konkreten Eintritt dieser Vermutung einrichten und für entsprechende Sicherheitspuffer in ihrer Fahrweise sorgen. Als da wären eine angepasste Geschwindigkeit, die also in der örtlichen Nähe von Zeichen 136 (abstrakte Gefahrenlage) ebenso auf das Fahrverhalten einwirkt wie die auf der Grundlage von § 3 Abs. 2a (konkretere Gefahrenlage gegenüber Z. 136) zu wählende Geschwindigkeit. Weiterhin müssen die seitlichen Sicherheitsabstände zu haltenden und parkenden Fahrzeugen nochmals gegenüber dem üblichen Sicherheitsabstand vergrößert werden.

Das Berliner Kammergericht ist sogar der Auffassung, dass sich ein Kraftfahrzeugführer im Geltungsbereich von Zeichen 136 so verhalten muss, als ob er bereits am Fahrbahnrand stehende Kinder gesehen hätte. Diese richtige, weil dem Schutzzweck der Norm bestmöglich entsprechende Ansicht verlagert mit dieser konkreten Verhaltensmaßregel aus Gründen der Verkehrssicherheit die Verantwortung vollends auf den motorisierten Verkehrsteilnehmer, der mit dem höchsten Gefährdungspotenzial unterwegs ist.
Die an den Tag zu legende besondere Aufmerksamkeit und Bremsbereitschaft gilt für den gesamten örtlichen Bereich, der durch das Zeichen 136 geschützt werden soll. Liegt im Bereich des durch Zeichen 136 geschützten Fahrbahnabschnitts ein Fußgängerüberweg, so gilt die besondere Aufmerksamkeitsverpflichtung für die gesamte Umgebung des Fußgängerüberweges (OLG Koblenz, VRS 62, 335 ff.). Kraftfahrzeugführer müssen daher die Bewegungen von Fußgängern besonders intensiv beobachten, um daran erkennen zu können, welche Fußgänger „erkennbar“ den Fußgängerüberweg benutzen wollen. Wird eine derartige Absicht von einem Kraftfahrzeugführer erkannt, so gilt die Verpflichtung aus § 26 Abs. 1 Satz 1 StVO, diesem Fußgänger das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen.

Ist das Gefahrenzeichen 136 in einer Tempo-30-Zone aufgestellt, verpflichtet es den Fahrzeugführer auch ohne konkrete Gefahrenzeichen zu äußerster Sorgfalt im Hinblick auf möglicherweise überraschend die Fahrbahn betretende Kinder. Diese Prämisse gilt nach Auffassung des OLG Düsseldorf insbesondere dann, wenn das konkrete Umfeld der befahrenen Straße (zum Beispiel eine dichte Wohnbebauung, geringe Fahrbahnbreite mit parkenden Fahrzeugen und schmalem Gehweg, Nähe von Schule, Kindergarten oder Spielplatz, Tageszeit) die Annahme nahelegt, dass mit plötzlichem Auftauchen von spielenden Kindern zu rechnen ist. In einer derartigen Verkehrssituation muss ein Fahrzeugführer eine Fahrweise mit einer deutlichen Unterschreitung der Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h bei ständiger Bremsbereitschaft wählen.
Herrscht im Bereich des Zeichens 136 eine die Sichtverhältnisse negativ beeinträchtigende schlechte Witterung, müssen die Örtlichkeit besonders aufmerksam beobachtet und die Geschwindigkeit deutlich herabgesetzt werden. Allerdings braucht ein Kraftfahrer trotz eines Verkehrszeichens „Kinder“ bei Dunkelheit im Winter nicht damit zu rechnen, dass ein Kind plötzlich und unvorhersehbar auf die Fahrbahn und vor das Fahrzeug rennt.

Fazit

Der Schutz von Kindern im Straßenverkehr ist eine permanente Aufgabe der gesamten Gesellschaft und wir alle können uns durch positives und normgerechtes Verhalten mit unserer Vorbildwirkung daran beteiligen.
Eine besondere Verantwortung obliegt den Familienmitgliedern, deren Aufgabe es ist, die jüngsten und schützenswertesten Verkehrsteilnehmer behutsam sprichwörtlich an die Hand zu nehmen und eine verantwortungsvolle Verkehrsteilnahme zu trainieren. Hand in Hand sollte ein qualitativ hochwertiger Verkehrsunterricht im Kindergarten beginnen, in der Grundschule fortgesetzt und mit dem Höhepunkt der Radfahrausbildung als Zwischenziel abgeschlossen werden, um in der Sekundarstufe I verfeinert und gefestigt zu werden.
Wenn dann auch noch die entscheidenden Vorschriften polizeilich und kommunal überwacht und Verstöße konsequent geahndet werden, sollte es gelingen, unsere Kinder im Straßenverkehr optimal zu schützen.

Internetquellen

Unfallforschung der Versicherer Thema „Kinder“
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§ 3 Abs. 2a StVO
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Zeichen 136 „Kinder“
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.

Fotos: Petra/Pixabay; CopyRightFreepictures/Pixabay