//Müllers Kolumne: Immer wieder illegale Rennen

Müllers Kolumne: Immer wieder illegale Rennen

Manchmal möchte man kaum noch die Zeitung aufschlagen; denn immer wieder ist von illegalen Autorennen die Rede. Ein besonders tragisches Rennen hat sich im Frühjahr 2022 in der Nähe von Hannover ereignet. Es führte zum Tod zweier unschuldiger Kleinkinder. Die Staatsanwaltschaft hat die vermeintliche Haupttäterin nun wegen Mordes angeklagt.

Die katastrophalen Folgen einer kriminellen Tat

Im jüngst bekannt gewordenen Fall aus dem Raum Hannover konnten die Folgen tragischer nicht sein. Ein Vater und eine Mutter verloren noch unmittelbar am Unfallort einen zweijährigen und einen sechsjährigen Sohn und fielen damit ins Bodenlose. Man kann nicht einmal ansatzweise ermessen, welche Lücke in das Leben der beiden durch den Unfall ebenfalls schwerverletzten Eltern gerissen wurde. Ihr Leben ist zerstört und wird nie wieder dasselbe sein wie zum Zeitpunkt vor der Tat.

Nach den Feststellungen des Deutschen Verkehrssicherheitsrates werden durch den Unfalltod eines Menschen ca. 113 andere Menschen direkt betroffen und leiden als direkte oder indirekte Unfallopfer psychisch ein Leben lang. Ihnen wird durch die Unfallnachsorge nur unvollkommen geholfen. Bei vielen ist das Leben ebenfalls dauerhaft getrübt.

Ein neuer Strafparagraph und sein fehlender Nutzen

Im Herbst 2017 verabschiedete der Deutsche Bundestag eine Novellierung des StGB und führte mit dem § 315d StGB einen neuen Straftatbestand für verbotene Kraftfahrzeugrennen ein. 

Im vergangenen Jahr 2021 stellte allein die Polizei in NRW in ihrem Zuständigkeitsbereich 2.037 illegale Autorennen fest und damit ein Drittel mehr als im Jahr 2020. Die Erhöhung betrug somit 34,5 Prozent. Logischerweise sind dadurch auch die Unfallzahlen angestiegen; denn es ereigneten sich 384 Unfälle wegen eines Autorennens und damit 119 mehr als ein Jahr zuvor.

Der neue Straftatbestand mit seiner Maximalandrohung von 10 Jahren Freiheitsstrafe hat demnach keine abschreckende Wirkung auf potenzielle kriminelle Rennteilnehmer.

Und die Täter?

Im beschriebenen Fall flüchtete die vermeintliche Haupttäterin zunächst nach Polen, wurde dort nach einer internationalen Fahndung gefasst und in Untersuchungshaft überstellt. Ihr „Renngegner“ wurde ebenfalls von der Polizei ermittelt und festgenommen.

Die Staatsanwaltschaft klagte die Fahrerin wegen zweifachen vollendeten und sechsfach versuchten Mordes an und ihren Widerpart wegen Beihilfe zu diesen Taten. Ein bekannter Hannoversche Strafverteidiger lässt sich mit den Worten zitieren: „Meine Mandantin hat in einer Grenzsituation einen Fehler gemacht. Aber sie wollte den Tod der Kinder nicht.“ Das mag sein, aber diese „Grenzsituation“ eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens auf einer öffentlichen Straße wurde von beiden gleichaltrigen, vierzigjährigen Rennteilnehmern bewusst herbeigeführt und damit auch die Risiken für das Leben zahlreicher anderer Menschen. 

Das Landgericht Hannover wird nun – wie die Richterkollegen aus Berlin nach dem bekannten „Ku´damm-Raser-Fall“ – in objektiver Sicht hauptsächlich zu klären haben, ob die Teilnahme an einem solchen Rennen als drei mögliche Mordmerkmale entweder ein „niederer Beweggrund“, ein solches illegales Fahrverhalten aus Opfersicht „heimtückisch“ oder die Nutzung eines Autos als Renngefährt ein „gemeingefährliches Mittel“ darstellt. 

In subjektiver Sicht geht es um die Frage, ob die beiden Angeklagten darauf vertrauen konnten, dass bei ihrer gefährlichen Fahrweise kein Mensch getötet werden konnte (dann wäre es bewusste Fahrlässigkeit und kein Mord) oder ob sie sich in der Fahrsituationen eines Rennens gegeneinander mit einem möglichen Tod unbeteiligter Personen abgefunden hatten (dann wäre es bedingter Vorsatz und bei Vorliegen auch nur eines Mordmerkmals ein Mord bzw. eine Beihilfe dazu).

Was ist zu tun?

Üblicherweise ist es die Aufgabe eines Straftatbestandes, durch seine Strafandrohung potenzielle Straftäter von ihren Taten abzuhalten. Dazu müssten diese Bedingungen allerdings erstens unter den Autofahrern allgemein bekannt sein und zweitens müsste in der Gesellschaft ein Minimalkonsens in der Hinsicht bestehen, diese Regeln zu akzeptieren. Zu beiden Ansätzen gibt es große Fragezeichen.

Bei der Vielzahl weiterhin polizeilich ermittelter illegaler Rennen drängt sich die Frage auf, wie man diese Fahrerinnen und Fahrer überhaupt noch erreichen kann. Patentrezepte existieren nicht und die bekannten Präventionsmaßnahmen wie Aufklärung in den Medien oder Schulungen scheitern, weil sie die potenziellen Rennteilnehmer nicht erreichen.

Verkehrspsychologisch betrachtet handelt es sich bei der Tätergruppe um sogenannte „sensation seekers“, die ihren Kick in den vom Strafverteidiger beschriebenen Grenzsituationen finden, also auch mitten auf belebten Straßen in der Begegnung mit anderen Verkehrsteilnehmern – ihren potenziellen Opfern. Sie mittels präventiv wirkenden Sicherheitsbotschaften zu erreichen erscheint aussichtslos.

Erfolgversprechend erscheint ausschließlich der Ansatz, diese Gruppe von aggressiven Fahrerinnen und Fahrern frühzeitig ausfindig zu machen und verkehrspsychologisch im Rahmen einer MPU zu untersuchen. Dadurch könnten ggf. deren Fahrerlaubnisse entzogen werden, damit ein legales Fahren unterbunden werden kann. Ansätze zu diesem administrativen Vorgehen sind in Bundesländern wie Bayern, Berlin und NRW bereits vorhanden. Der Zusammenhang zwischen verkehrsrechtlich relevanten und bereits entdeckten Vortaten und dem Verhaltensmuster von Verkehrsstraftätern ist dabei wissenschaftlich längst bewiesen. Es hapert bislang nur noch an einer konsequenten Zusammenarbeit zwischen Polizei, Strafjustiz und Fahrerlaubnisbehörden, die durch fehlende gemeinsame Aus- und Fortbildung erklärt werden kann und schleunigst überwunden werden muss.

Weiterführende Links

Pressemeldung der Polizei Hannover
https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/66841/5157105

Pressemeldung Hannoversche Neue Presse
https://www.neuepresse.de/lokales/hannover/illegales-rennen-in-barsinghausen-war-es-mord-K74XCU4HGRFCVLHJFBWMGNLUVE.html

§ 211 StGB
https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__211.html

§ 315d StGB
https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__315d.html

Statistik NRW
https://www.land.nrw/pressemitteilung/tiefststand-bei-verkehrstoten-mehr-festgestellte-drogenverstoesse-170000-euro-fuer

DVR: 1 Tod – 113 Betroffene
https://www.runtervomgas.de/aktuelles-und-downloads/aktuelles/1-tod-113-betroffene/

Foto: Pixabay, d-keller