//Ideen gegen den Unfalltod

Ideen gegen den Unfalltod

Wie eine europaweite Bewegung dem Unfalltod am Stauende begegnen kann – ein Meinungsartikel von Dieter Schäfer

Ein kleines Virus hat geschafft, was der Verkehrspolitik im Streben um die Vision Zero bisher in diesem Ausmaß und dieser Geschwindigkeit vergönnt war. Die Zahl der Unfalltoten sank in den pandemischen Jahren allein in Deutschland um knapp 20 Prozent. 596 Tote weniger reduzieren statistisch das Leid und die Belastungsstörungen von mehr als 67.000 Menschen aus deren Umfeld. Im Schatten dieser überragenden Zahlen verblassen aber leider die dramatischen Entwicklungen im Transportgewerbe. Völlig gegenläufig eilt der Tod am Stauende traurig von Rekord zu Rekord. Ließen 2020 bereits 48 Fahrer beim Aufprall ihr Leben, waren es kurz vor Ende 2021 mit 70 nochmals 46 Prozent mehr. Und viele Schwerverletzte müssen noch dazu addiert werden.

Während durch Lockdown-Maßnahmen der Individualverkehr stark eingebremst wurde, müssen die LKW-Fahrer gewährleisten, dass die Warenkette funktioniert und nicht abreißt. Der boomende Online-Warenhandel tat sein Übriges. Immer mehr Transporte über marode Brückenbauwerke verstärken den Sanierungsstau, bedingen Verkehrsbeschränkungen und erhöhen so die Staugefahr.
Stress, Fahrermangel, ungesunder Schlaf, Monotonie und der Drang zur Ablenkung während der Fahrt, aber auch europaweite Fortbildungsdefzite hinsichtlich der lebensrettenden Assistenzsysteme im LKW sind ein gefährliches Gemisch, welches die Todesgefahr potenziert.

Kein LKW-Fahrer fährt absichtlich auf ein Stauende und alle hängen am Leben. Vielen mangelt es aber an einem vitalen Gefahrenbewusstsein. Und von allein kommen sie gar nicht darauf, hier etwas ändern zu müssen. An dieser lebenswichtigen Nahtstelle müssen all diejenigen konzertiert werden, für die eine funktionierende Lieferkette zu den Grundwerten gehören. Nicht nur die Transportunternehmer, nein, auch das produzierende Gewerbe und der Warenhandel tragen eine große Mitverantwortung. Natürlich muss auch die Verkehrs- und Wirtschaftspolitik für ein LKW-freundliches Umfeld sorgen. Die Stressoren für die Fahrer können aber nur gemeinsam von Wirtschaft, Warenhandel und Logistik durch sozial nachhaltiges Zusammenwirken beseitigt werden. Die Politik kann diesen Prozess moderieren. Leere Regale und unterversorgte Tankstellen sind für die kommenden Jahre keine Utopie mehr. Ließe sich diese Konzertierung in eine Bewegung ummünzen, würden wir der Max Achtzig Idee und einer Europakampagne sehr nahekommen. Im Mittelpunkt steht dabei unsere in alle europäischen Sprachen übersetzte Aufklärungsbroschüre.

Wir wissen wo die Todesgefahr lauert. Wir wissen, zu welchen Zeiten sie erhöht ist. Wir wissen, warum es zum Unfall kommt und wir wissen, dass die Ursachen für den Unfalltod fast ausschließlich in der Ablenkung oder dem Sekundenschlaf zu suchen sind, weil der tödliche Einschlag ungebremst, also mit Anlauf und der Wucht von 40 Tonnen erfolgt.
Der Fahrer braucht Rückhalt im Unternehmen, in Industrie und Warenhandel, in der Politik aber auch in der Gesellschaft. Ja, er braucht Wertschätzung, aber auch das unmissverständlich vermittelte Bewusstsein, dass er 40 Tonnen Verantwortung transportiert.
Wann, wenn nicht jetzt? Die Verbreitung und Förderung der Max Achtzig Idee im jeweiligen Einflussbereich hilft, den Unfalltod einzudämmen.
Es ist Zeit für Veränderung – Zeit am Leben zu bleiben.

Links zum Thema
http://www.hellwach-mit-80kmh.de
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Dieter Schäfer ist Mitbegründer und Sprecher des Präventionsvereins „Hellwach mit 80 km/h e.V.“. Er war bis Ende 2019 Leiter der Verkehrsdirektion beim Polizeipräsidium Mannheim und ist Autor des Buches „Der Verkehrspolizist“, einer Fachbiografie über urbane und überregionale Unfallgefahren mit erprobten Praxisbeispielen.