//Müllers Kolumne: Zukunftsmobilität Radverkehr

Müllers Kolumne: Zukunftsmobilität Radverkehr

Der Radverkehr auf deutschen Straßen hatte in den letzten Jahren enorme Zuwächse. Allein die Entwicklung der zurückgelegten Wegelängen und Tagesstrecken ist zwischen den Jahren 2002 und 2017 deutlich gewachsen. Nochmals einen deutlichen Schub erhielt der Radverkehr durch die Pandemie, während der viele Autofahrer für Kurzstrecken auf das Fahrrad umstiegen. Aber ist man überhaupt auf diese Zunahme und die damit verbundenen Konsequenzen vorbereitet?

Überraschung: Es gibt mehr Radfahrer

Behördliche Verkehrspraktiker in Bund, Ländern und Kommunen scheinen von der Zunahme des Radverkehrs überrascht worden zu sein – jedenfalls läuft die Exekutive der tatsächlichen Entwicklung bei der Reform eines zeitgemäßen Normenkataloges und einer brauchbaren Veränderung der Infrastruktur vielerorts hinterher. Mit der Zunahme des Radverkehrs steigen nämlich automatisch auch die Unfallzahlen und die Anzahl der Verunglückten, wozu unter anderem auch die räumliche Enge bei gleichzeitiger – allseits weitgehend ungefragter – Einführung neuer Mobilitätsformen wie zum Beispiel Elektrokleinstfahrzeugen (eKF) beiträgt. Es bedarf eines Gegensteuerns durch die Exekutive in Bund, Ländern und Kommunen, die für die Rechtsetzung und Überwachung der Verkehrsregeln in der StVO, StVZO und im Bußgeldrecht verantwortlich zeichnet. Aber es bedarf gleichzeitig auch eines Umdenkens und Überwindens einer vielfach vorhandenen Lagermentalität bei den Gruppen der Verkehrsteilnehmer, die nur allzu oft allein ihre eigene Gruppe im Blick haben und Hinweise der jeweils anderen Gruppe sofort als persönliche Angriffe auffassen. Denn: Gewinne in der Verkehrssicherheit sind nur gemeinsam möglich.

Gradmesser Verkehrssicherheit

Die Fahrradfreundlichkeit liegt bei einem Schulnotenwert von 3,9.l Das ist das Ergebnissen des vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) durchgeführten und vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geförderten Fahrradklimatest für das Jahr 2020. Dabei ist den Radfahrer und -Fahrerinnen insbesondere ein gutes Sicherheitsgefühl (81 Prozent), die Akzeptanz von Radfahrern durch andere Verkehrsteilnehmer (80 Prozent) und ein konfliktfreies Miteinander von Rad- und Autoverkehr (79 Prozent) besonders wichtig.
Und wie sieht es mit der Verkehrssicherheit im Radverkehr aus? Dazu führte die vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) unterhaltene Unfallforschung der Deutschen Versicherer (UDV) unlängst einen Vergleich der Radverkehrssicherheit in Deutschland, den Niederlanden und Dänemark durch. Dabei wurde festgestellt, dass die Unfälle mit Radverkehrsbeteiligung zu einem hohen Prozentsatz an den Knotenpunkten stattfinden, nämlich zu rund 60 Prozent (Dänemark und Niederlande) beziehungsweise 66 Prozent (Deutschland).
Die harten Fakten sprechen für ein weiterhin hohes Verletzlichkeits- und Mortalitätsrisiko für Radfahrer auf deutschen Straßen. Dies ist auch rein physikalisch kein Wunder; denn Radfahrern fehlt bei Kollisionen, die oft mit Stürzen und direktem Körperkontakt mit harten Gegenständen verbunden sind, bis auf einen nur viel zu selten vorhandenen Schutzhelm jegliche passive Sicherheitsausstattung.

Unfälle nehmen zu

Im Jahr 2020 verunglückten laut den Daten des Statistischen Bundesamtes insgesamt 130.488 Kraftrad- und Fahrradnutzer, davon 978 tödlich. Damit waren 39,5 Prozent aller Verunglückten und 36,0 Prozent aller Verkehrstoten im Straßenverkehr Benutzer von Kraft- beziehungsweise Fahrrädern. Insgesamt kamen im Jahr 2020 im Straßenverkehr 426 Menschen, die auf einem Fahrrad unterwegs waren, ums Leben, darunter 142 auf einem Pedelec. Im Vergleich zu 2019 stieg die Zahl der verunglückten Fahrradbenutzer (einschl. Pedelec) um 5,6 Prozent. Von den insgesamt 91.533 Fahrradunfällen mit Personenschaden waren 28,3 Prozent Alleinunfälle. Bei 69 Prozent gab es nur einen weiteren Unfallbeteiligten und bei 2,7 Prozent dieser Unfälle waren mindestens zwei weitere Verkehrsteilnehmer involviert. Auch bei den Fahrradfahrern war ein Pkw der häufigste Unfallgegner (71,9 Prozent). Bei 11,3 Prozent war ein weiterer Radfahrer und bei 6,6 Prozent ein Fußgänger der Unfallgegner. Insgesamt galten 49,4 Prozent aller an Verkehrsunfällen beteiligten Radfahrer als Hauptverursacher ihres Unfalls. Bei Unfällen mit einem Pkw waren sie nur zu 24,8 Prozent und bei Unfällen mit Güterkraftfahrzeugen nur zu 19,4 Prozent der Hauptverursacher des Unfalls. Bei Unfällen mit Fußgängern wurde dagegen Radfahrer häufig (56,7 Prozent) die Hauptschuld angelastet. Auch Kollisionen mit Krafträdern wurden überwiegend von Radfahrern verschuldet (54,1 Prozent).

Das muss passieren 

Die Sicherheit im Radverkehr für die vielen Verkehrsteilnehmer zu erhöhen, muss auch weiterhin eine Kernaufgabe des Staates bilden. Allein die alle drei Staatsgewalten bindende staatliche Schutzpflicht, Leben und körperliche Unversehrtheit der Einwohner in Deutschland zu schützen, gebietet eine nachhaltige Verkehrssicherheitspolitik.
Das Verkehrsverhalten und das Verkehrsklima zwischen allen Verkehrsteilnehmern muss dabei durch eine von der Gesellschaft getragene Kombination aus innovativer Kommunikation und Verkehrserziehung sowie konsequenter Überwachung und Ahndung verbessert werden.
Erst der Dreiklang aus passenden Normen, deren konsequenter Überwachung und ebenso konsequenter Ahndung von Verstößen verspricht Sicherheitsgewinne, wenn, ja wenn die für den Kraftverkehr angelegte Infrastruktur des Verkehrsraumes endlich auf die deutliche Zunahme des Radverkehrs angepasst wurde.
Die Maßnahmen:
1. Die StVO sollte systematisch in Richtung einer Konfliktvermeidung zwischen Radverkehr und motorisiertem Verkehr überprüft und verbessert werden.
2. Besonders sicherheits- und unfallrelevante Normen sollten im Bußgeldkatalog deutlich höher, nämlich im Bußgeldbereich bewertet werden, um gleichzeitig Eingang in das Fahreignungsbewertungssystem zu finden.
3. In der Verkehrsüberwachung sollte jede Polizeidienststelle in städtischen Bereichen über eine Fahrradstaffel zur spezifischen Überwachung des Radverkehrs und der sicherheitsrelevanten Verstöße im ruhenden Verkehr verfügen.

Um den deutlich zu geringen Überwachungsdruck zu erhöhen, sollte zusätzlichen Kräften der Exekutive wie der Bundespolizei und den Ordnungsdiensten der Kommunen ein Anhalterecht zur präventiven Kontrolle des Radverkehrs sowie speziell der Bundespolizei eine originäre Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten zugebilligt werden.

Weiterführende Links:
Fahrradklimatest
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Vergleich der Radverkehrssicherheit Deutschland, Niederlande, Dänemark
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Destatis Verkehrsunfälle
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rofessor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.

Foto: Pexels/Pixabay