Der Anfang ist gemacht. Im Oktober 2017 nahm der erste autonom fahrende Kleinbus in Bad Birnbach seinen Dienst im Linienverkehr auf. Seitdem wurden auf der mittlerweile zwei Kilometer langen Strecke Zehntausende Fahrgäste vom und zum Bahnhof der für ihr Thermalbad bekannten Ortschaft in Bayern gefahren. Der kleine Shuttlebus ist jedoch nur sehr langsam unterwegs, und er fährt nur zu einem kleinen Teil und unter strengen Auflagen durch richtigen Straßenverkehr – alles aus Sicherheitsgründen und weil die Technik längst noch nicht soweit ist.
Gemeinhin gilt künstliche Intelligenz (KI) als die Lösung, dass sich automatisierte Fahrzeuge selbstständig im Verkehr bewegen können. Doch für den Durchbruch der ohnehin von vielen skeptisch beäugten Roboterautos gibt es ein besonderes Problem: Die Technik kann derzeit nicht jede Situation richtig „verstehen“ oder interpretieren. Man erinnere sich an die teils tödlich verlaufenden Unfälle der letzten Jahre in den USA mit falsch funktionierenden automatischen oder teilautomatischen Systemen. Es gibt diese Grenz- und Übergangsfälle, für die im fixen Straßenverkehr nicht viel Zeit zu überlegen bleibt. Für Menschen sind sie oft ganz einfach zu erkennen und zu entschärfen, aber nicht für Maschinen: etwa weil es dunkel ist, Regen fällt oder die Konturen schwach sind. Die „Plattform Lernende Systeme“, ein vom Bundesforschungsministerium mitinitiiertes Expertenforum, musste jetzt feststellen: „Obwohl in den letzten zwanzig Jahren mehrere Milliarden Euro in die Forschung und Entwicklung von selbstlernenden KI-Systemen im Mobilitätssektor investiert wurden, sind bislang auf Deutschlands Straßen kaum automatisierte Fahrzeuge unterwegs.“
Zur Begründung wird auf fehlende Daten zu besagten Grenzsituationen hingewiesen. Deshalb könnten die „intelligenten Fahrzeuge“ nicht in ausreichendem Maße „trainiert und getestet werden“. Es ist zum Beispiel nicht auszuschließen, dass ein automatisiertes Auto bei schlechtem Wetter eine rote Ampel übersieht, weil der Blickwinkel „ganz ungewöhnlich“ ist. Auch eine von Regenwasser überflutete Straße wäre ein unüberwindbares Hindernis.
Die gefährliche Datenlücke
Die problematischen Grenzfälle zeichnen sich dadurch aus, dass sie selten vorkommen. Selbst in den riesengroßen Trainingsdaten, die heutige Fahrzeugsensoren aus Millionen von Straßenkilometern gesammelt haben, existieren sie nicht. „Die KI-Systemen können deshalb entsprechend nicht ausgebildet werden“, lautet das Fazit der Plattform-Fachleute.
Hinter der Datenlücke verbirgt sich ein tiefergehendes Problem: Jeder Konzern hütet eifersüchtig seine Daten und Algorithmen und trachtet danach, die von ihm entwickelte Technologie als allgemeinverbindlichen Standard auf dem Markt durchzusetzen. Dann winkt eine Art Monopolstellung. Bei selbstfahrenden Autos ist die Sache sensibel, denn es geht um Menschenleben. Also müsste eine unabhängige Instanz geschaffen werden, die intelligente Systeme für den Verkehr auf ihre Zuverlässigkeit in jeder möglichen Situation überprüft.
Genau das will die Plattform Lernende Systeme anstoßen. Gegründet wurde das Expertenforum 2017, neben dem Forschungsministerium stand die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) Pate. Der selbstgesteckte Auftrag ist es, KI-Fachleute aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft zusammenzuführen und als „unabhängiger Makler“ zu leisten, was einzelne Unternehmen nicht vermögen. Die Acatech-Vorsitzenden sind Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Karl-Heinz Streibich, Aufsichtsratsmitglied unter anderem bei der Software AG, der Telekom und der Münchener Rückversicherung.
Dieses Expertenforum regt nun an, eine gemeinschaftliche und unabhängige Datenplattform zu schaffen, mit der Fahrzeughersteller und Zulieferer ihre Mobilitätsdaten austauschen und die Sicherheit ihrer Systeme testen und verbessern können. Als „wesentliche Erfolgsbedingung“ werden gemeinsame Standards und Normen genannt. Darüber hinaus sollen „eindeutige Richtlinien“ für den ethischen und rechtlichen Rahmen der Datennutzung gelten. Eines Tages soll die Plattform zudem für die Zulassung von KI-Systemen genutzt werden, schlägt Tobias Hesse vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) vor. Er ist einer von zwei Leitern der Arbeitsgruppe „Mobilität und intelligente Verkehrssysteme“, welche die Idee für die Datenplattform entworfen hat und der seitens der Automobilindustrie unter anderem Continental und Volkswagen angehören. Um die Plattform zu dem zu machen, was sie sein soll, müsse das Projekt, so Hesse, mit „neutraler und allseits akzeptierter Kompetenz betrieben werden“.
(Beate M. Glaser/Kristian Glaser/kb)
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