//Müllers Kolumne: Straßenrennen

Müllers Kolumne: Straßenrennen

Der im Herbst 2017 neu eingeführte Straftatbestand des Verbotenen Kraftfahrzeugrennens gem. § 315d StGB verhindert keine illegalen Autorennen und schreckt offensichtlich auch keine potenziellen Rennteilnehmer davon ab, diese Straftaten zu begehen und dadurch Menschen in Lebensgefahr zu bringen.

Ein erneuter schwerer Verkehrsunfall bei einem potenziellen Einzelrennen gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, der sich zu Monatsbeginn in Berlin ereignete, forderte das Leben zweier junger Männer und belastet damit das ganze weitere Leben der Hinterbliebenen. Der Unfallverursacher blieb nahezu unverletzt am Leben und wurde von der Berliner Strafjustiz inhaftiert.

Das ganze Geschehen ereignete sich vor dem Hintergrund einer inzwischen im Jahr 2020 letztinstanzlich vom Bundesgerichtshof bestätigten Verurteilung eines Teilnehmers eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens durch das insoweit mutig juristisches Neuland betretende Landgericht Berlin wegen Mordes. Konkret ging es um den berühmt-berüchtigten Ku´damm-Raser-Fall

Dennoch: Die Verkehrspolitiker sind ratlos. Hatten Sie doch darauf gehofft, mittels des neuen Straftatbestandes dieses Kriminalitätsphänomen endlich beherrschen zu können. Das Gegenteil ist der Fall. Die Länderpolizei in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen hatte eigens Spezialeinheiten mit besonders gut ausgebildeten und motivierten Polizeibeamten gebildet, um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen und potenzielle illegale Rennteilnehmer abzuschrecken. Ihre Erfahrungen gehen eher in die Richtung, dass das vorhandene riesige Dunkelfeld der bislang unentdeckt gebliebenen einschlägigen Straftaten aufgehellt wird, indem diese Taten vermehrt entdeckt werden. Verhindert werden diese jedoch nicht.

Im Rahmen der juristischen Fachkonferenz des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) wurde die Problematik der verbotenen Kraftfahrzeugrennen im Oktober 2020 aus verkehrsjuristischer, unfallanalytischer, polizeilicher und präventiver Sicht umfassend erörtert. Dabei stellte ein Berliner Beitrag heraus, dass seit Bestehen des neuen Paragraphen rund 1.500 zeit- und arbeitsaufwändige Ermittlungsverfahren durch die Berliner Amtsanwaltschaft/Staatsanwaltschaft durchgeführt wurden. In bislang 400 Fällen kam es zu einer Anklage und 250 Angeklagte wurden rechtskräftig verurteilt. Das ist eine mehr als zwiespältige Bilanz, die einerseits zwar den außerordentlichen Arbeitseifer der Berliner Polizei und Strafjustiz beweist, aber andererseits auch offenlegt, dass der Staat diesem Phänomen weiterhin weitestgehend machtlos gegenübersteht, was jedenfalls die präventive Verhinderung möglicher Straftaten angeht.

Charaktereigenschaften überprüfen

Was allerdings helfen würde, wäre eine deutlich konsequentere Rechtsanwendung der präventiv ausgerichteten Vorschrift des § 2 Abs. 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG), wonach die Fahrerlaubnisbehörde bei dem Bewerber um eine Fahrerlaubnis zwingend zu ermitteln hat, ob eine Person überhaupt charakterlich dafür geeignet ist, ein  Kraftfahrzeug zu führen. Leider läuft diese Vorschrift weitestgehend leer, weil den Fahrerlaubnisbehörden unter anderem vom Gesetzgeber nicht die erforderlichen Erkenntnisquellen bereitgestellt werden. Obligatorisch müssten nämlich alle Fahrerlaubnisbehörden dazu verpflichtet werden, sämtliche vorhandenen staatlichen Erkenntnisquellen zu nutzen, um Fahrerlaubnisbewerber, die entweder erstmals oder wieder nach einem vorherigen Entzug ihrer Fahrerlaubnis nach charakterlichen Auffälligkeiten durchleuchten zu können. Es ist nämlich unverständlich, warum ein Waffenschein schwieriger erlangt werden kann als eine Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen, die zudem für Fahranfänger nicht einmal in der Motorstärke begrenzt ist.

Hinzu tritt die Tatsache, dass viele Behörden und Richter beziehungsweise Staatsanwälte ihren einschlägigen Meldepflichten an die Fahrerlaubnisbehörden nicht konsequent genug nachkommen. Wissenschaftlich bewiesen ist nämlich der Zusammenhang zwischen dem Begehen von Aggressionsstraftaten außerhalb des Straßenverkehrs (wie zum Beispiel Körperverletzungsdelikte, Nötigungsdelikte und Widerstandsdelikte) und dem Begehen von Verkehrsstraftaten wie eben verbotenen Kraftfahrzeugrennen. Würden demnach mehr Aggressionsstraftäter den Fahrerlaubnisbehörden gemeldet, könnten diese ihrerseits mehr medizinisch-psychologische Fahreignungsuntersuchungen anordnen, um charakterlich ungeeigneten Personen entweder gar nicht erst eine Fahrerlaubnis zu erteilen oder diesen Fahrerlaubnisinhabern ihre Fahrerlaubnisse wieder zu entziehen. Ohne Fahrerlaubnis können auch die zumeist als Tatfahrzeuge genutzten hoch motorisierten Leihfahrzeuge der Luxusklasse nicht legal entliehen werden.

Weitere präventive Ansätze werden ebenfalls diskutiert wie zu Beispiel die Förderung alternativer, aber legaler Möglichkeiten, Rennen auszufahren, indem Präventionsveranstaltungen auf eigens dafür gebauten Rennstrecken durchgeführt werden. Zu Verkehrsunfällen dieser Art wie in Berlin muss es also nicht kommen. Fahrer, deren charakterliche Eignung fraglich ist, dürfen gar nicht erst eine Fahrerlaubnis erwerben. Konsequenteres staatliches Handeln ist mehr denn je gefragt.

Weitergehende Informationen

Pressemitteilung der Berliner Polizei: hier klicken

Gesetzentwurf des Bundestages mit Begründung: hier klicken

Zentrale Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs zur Einschätzung eines illegalen Kraftfahrzeugrennens als Mord (Aktenzeichen 4 StR 482/19): hier klicken

Pressemitteilung des DVR: hier klicken

Reportage zu illegalen Autorennen des Magazins exakt vom 14.01.2021 (TV-Beitrag 7 Min. mit einem Interview des Verfassers dieses Beitrags): hier klicken

Foto: ahghost53/Pixabay

Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit.