//Verbesserungsbedarf bei Notbremssystemen für Lkw

Verbesserungsbedarf bei Notbremssystemen für Lkw

Die Folgen von Auffahrunfällen durch Lastwagen auf der Autobahn sind in der Regel dramatisch. Wenn ein 40-Tonner auf einen Pkw knallt, sind die Schäden selbst bei niedrigen Geschwindigkeiten erschreckend groß. Oft werden mehrere Autos durch den Aufprall ineinandergeschoben. Schwerverletzte oder gar Tote sind die Folge.

Für mehr Sicherheit sollen seit einiger Zeit die Notbremsassistenten sorgen. Kamera- oder radargestützte Systeme warnen den Fahrer vor einer brenzligen Situation, entwickeltere Versionen lösen zusätzlich eine automatische Bremsung aus, bevor es zu spät ist. Seit 2015 gehören diese Assistenten in der EU zur Pflichtausstattung neuer Lkw. Sie verbreiten sich recht schnell, weil die Transportunternehmen vor allem ihre Fernverkehrsfahrzeuge nach vergleichsweise kurzer Zeit auswechseln. Wie wirkungsvoll sie wirklich sind und wo es Schwachstellen gibt, das wollten die Unfallforscher Erwin Petersen, Vizepräsident der Landesverkehrswacht, Polizeioberrätin Carmen Scholze und Polizeioberkommissar Christoph Falke genauer wissen und führten eine aufschlussreiche statistische Analyse von Autobahnunfällen in Niedersachsen durch.

2019 ereigneten sich auf den Autobahnen des zweitgrößten Bundeslandes insgesamt 430 Unfälle mit Schwerverletzten und Getöteten. Daran waren Schwer-Lkw überproportional beteiligt, in erster Linie durch Auffahrunfälle. Die Unfallursache liegt in der Regel auf der Seite des Lkw; die Studienautoren nennen Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeiten und technische Mängel am Fahrzeug, riskant sind aber auch Ablenkung, zu hohes Tempo, waghalsige Überholmanöver und ein zu geringer Sicherheitsabstand. Nach zuletzt sinkender Tendenz kletterten die Unfallzahlen jüngst wieder, was die Unfallforscher durch mehr Autobahnbaustellen und Staus erklären.

Das wichtigste Ergebnis der Untersuchung, die in der „Zeitschrift für Verkehrssicherheit“ veröffentlicht wurde: Notbremssysteme sind in der Tat geeignet, die Verkehrssicherheit zu verbessern. Damit ausgestattete Lkw haben einen geringeren Anteil an schweren Unfällen als an der Gesamtflotte. Dabei besteht sogar noch Luft nach oben, wie die Autoren nachweisen konnten: Jeder dritte durch einen Lkw verursachte schwere Autobahnunfall „war relevant für Notbremsassistenzsysteme“, wäre also durch die technische Unterstützung eventuell weniger schwer ausgefallen oder sogar ganz verhindert worden. Dabei geht es vor allem um die berüchtigten Kollisionen am Ende eines Staus, fanden die Autoren heraus. Gerade hier können die Notbremssysteme viel Unglück verhüten.

Verbesserungsbedarf

Die Sicherheitsexperten Petersen, Scholze und Falke bringen aber auch Probleme ans Licht. Beispiel: Übersteuerung durch den Fahrer. Die Notbremssysteme sind generell so ausgelegt, dass eine kurze Bewegung am Lenkrad oder an einem Pedal die Aktivität des technischen Assistenten abbricht. Die Systeme können allerdings nicht unterscheiden, ob der Fahrer die Situation im Griff hat oder nicht. Bei einigen Versionen erfolgt der Abbruch bereits bei leichten Lenk- oder Pedalbewegungen, kritisieren die Unfallforscher. Das könne „fatal ausgehen“.

Unausgereift sind die Systeme auch, wenn die Kollision auf ein stehendes Objekt verhindert werden soll. Mit Radar ausgestattete Notbremssysteme „übersehen“ häufig die schmalen Hinweisschilder, die zur Warnung vor Autobahnbaustellen aufgestellt werden. Das kann dann ebenso zu einem Unglück führen wie das Versagen von Kamerasensoren, die bei Dunkelheit ein auf der Fahrspur liegengebliebenes Fahrzeug nicht bemerken. Obwohl gleichzeitig der Radar Alarm schlägt, regt sich der Notbremsassistent in diesem Fall nicht. Die Autoren der Studie fordern daher, dass die Hersteller die „Sensorfusion bei schlechten Sichtverhältnissen“ überprüfen. Für die Warnschilder vor Baustellen regen sie die Anbringung von Radarreflektoren an.

Wenn ein Lkw mit Notbremssystem und mit ACC (Abstandsregeltempomat) ausgerüstet ist, halten die Sicherheitsexperten das für eine „ungünstige Kombination“. Denn wenn sich ein Lkw-Fahrer einem Stauende nähert und mit einer kurzen Bremsung eigentlich nur das ACC ausschalten will, stellt er unweigerlich auch das Notbremssystem ab. Je nach Situation kann eine Kollision „nicht mehr vermieden“ werden, haben die Autoren herausgefunden. Ähnlich kann es sich verhalten, wenn ein Lkw-Fahrer einem stehenden Vorausfahrzeug zu spät ausweicht. Auch dann greift der Notbremsassistent nicht ein: wegen der Lenkbewegung. Die Folge ist, „dass das Güterkraftfahrzeug versetzt mit dem Vorausfahrzeug kollidierte und der Fahrer in dem einseitig zerstörten Fahrerhaus zerdrückt wurde“.

Um solch schrecklichen Szenarien vorzubeugen, schlagen die Autoren vor, dass die Fahrer „besser als bisher“ über die Funktion der Notbremsassistenten unterrichtet und trainiert werden. Die Leistungsfähigkeit der Systeme solle verbessert werden, vor allem beim Erkennen von stehenden, bremsenden und stationären Objekten. Die Warnsignale sollten die Fahrer früher erreichen, um ihnen eine rechtzeitige Reaktion zu ermöglichen. Der unbeabsichtigte Funktionsabbruch sollte aus Sicht der Sicherheitsexperten ausgeschlossen und die Abschaltbarkeit per Knopfdruck durch den Fahrer „sehr eingeschränkt“ und um eine „zügige automatisierte Reaktivierung“ ergänzt werden.

Beate M. Glaser (kb)
Auch der ADAC hat Lkw-Notbremsassistenten getestet, Foto: ADAC