//Automatisierte Lkw: Jemand muss den Fahrer wachhalten 

Automatisierte Lkw: Jemand muss den Fahrer wachhalten 

Seit Mercedes-Benz mit dem Antiblockiersystem vor über vierzig Jahren eines der ersten Fahrerassistenzsysteme in einem Serien-Pkw, der S-Klasse, einführte, unterstützen elektronische Helferlein die Autofahrer und tragen zu mehr Sicherheit und Komfort bei. Die zunehmende Automatisierung wird mit vielen Vorschusslorbeeren für einen unfallfreien, umweltfreundlichen, stauarmen und rundum komfortablen Straßenverkehr bedacht.

Allerdings entstehen durch die Automatisierung auch ganz neue Probleme, beispielsweise für Lkw-Fahrer. Denn lange Arbeitszeiten und monotone Kolonnenfahrten sind durch den technischen Fortschritt alles andere als behoben. Und wenn sich künftig, wie von vielen Herstellern geplant, manuelle und automatisiertes Fahrphasen ablösen und Fahrer und Computer sich „wie bei einem Staffellauf“ das Steuer übergeben, wie Bosch-Entwickler Michael Schulz es formuliert, muss der Fahrer jederzeit oder nach Aufforderung des Systems bereit sein, das Fahren zu übernehmen. Was ist aber, wenn der Fahrer gerade eingenickt ist?

„Das Ziel ist, den Fahrer immer in einem Zustand der optimalen Beanspruchung zu halten“, sagt Bosch-Experte Schulz, damit das „Zusammenspiel von Fahrer und Lkw möglichst perfekt“ aufeinander abgestimmt werden kann. Um das zu erreichen, hat Bosch das Forschungsprojekt „Technologie für automatisiertes Fahrer nutzergerecht optimiert“ (Tango) ins Leben gerufen. Zusammen mit den Autoherstellern MAN und Volkswagen sowie mit verschiedenen Beratungs- und Forschungseinrichtungen in den Bereichen Medien, Nutzerverhalten und Mensch-Maschine-Schnittstelle will man einen „Aufmerksamkeits- und Aktivitätenassistenten“ entwickeln. Dessen Funktion wird es mit Hilfe von Innenraumsensoren und künstlicher Intelligenz sein, den Fahrer zu beobachten, sein Verhalten zu interpretieren und nötigenfalls bestimmte Maßnahmen in Gang zu setzen. Wenn etwa auffällt, dass dem Fahrer die Augen zufallen, wird er akustisch gewarnt. Das ist allerdings nicht neu, denn Müdigkeitswarner gibt es längst. Neu ist aber, wenn ihm das Fahrzeug „Nebentätigkeiten“ anbietet, um wach zu bleiben, etwa „Musik und Hörbücher hören, Mails lesen, chatten und Nachrichten schreiben bis hin zu Filme schauen, Tages- und Routenplanung vornehmen“. Sogar Fitnessübungen sind angedacht.

Die Entwickler müssen bei der Programmierung des Systems den Automatisierungsgrad des Lkw ebenso berücksichtigen wie die jeweilige Fahrsituation und den Zustand des Fahrers, erläutert Bosch. „Wir haben den Nutzer und seine Anforderungen ganz bewusst ins Zentrum unserer Arbeit gerückt“, hebt Michael Schulz hervor. Und wenn alle Wachmacher nichts nützen sollte, sehen Schulz und sein Team auch direkte Eingriffe ins Fahrgeschehen vor, etwa automatisches Abbremsen.

Für die Arbeit am Aufmerksamkeits- und Aktivitätenassistenten begleiteten die Forscher Lkw-Fahrer auf ihren Touren, führten Interviews durch, werteten Online-Tagebücher aus und testeten ihre Zwischenergebnisse mit Probanden. Dabei kamen nicht nur Fahrsimulatoren zum Einsatz, sondern auch ein Versuchs-Lkw mit einem kompletten Fahrerarbeitsplatz auf der linken wie auf der rechten Seite der Kabine, getrennt durch einen Sichtschutz. So lässt sich für den jeweils anderen Fahrer eine automatisierte Fahrt in der Praxis nachstellen.

„Ein perfektes Zusammenspiel im Team Fahrer-Fahrzeug erfordert eine intuitive, einladende und einfache Bedienung“, hält Schulz als Marschroute fest. Der erste Prototyp ist ein aus mehreren Displays bestehendes Bedienfeld, „das visuelle, akustische und haptische Elemente miteinander kombiniert“. Die Wissenschaftler müssen Bosch zufolge die Innenraumbeobachtung noch verbessern und an geeigneten Entertainmentsystemen feilen. Ihre Erkenntnisse beeinflussen darüber hinaus die Entwicklung der automatisierten Fahrsysteme selbst. Eines Tages will man die fertigen Produkte nicht nur in Lastwagen einsetzen, sondern auch in Personenwagen.

Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Auf ihm müssen die Experten auch so komplizierte Probleme angehen wie die Vorbehalte, die gegenüber automatisierten Fahrsystemen bestehen: Die stoßen in der Bevölkerung generell auf eine starke Skepsis, und speziell Lastwagenfahrer reagieren sensibel, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass sie durch eine Fahrmaschinen entmündigt oder sogar ihr Arbeitsplatz wegrationalisiert werden soll.

Beate M. Glaser (kb)
Foto: Bosch