//Crashtest mit Wildschwein-Dummy

Crashtest mit Wildschwein-Dummy

Wie gefährlich Wildunfälle sind, zeigt ein Blick in die Statistik: Jedes Jahr kommt es zu rund 270.000 Kollisionen mit Wildschwein, Reh und Co. Rein rechnerisch kollidiert alle zwei Minuten ein Pkw mit einem Wildtier. „Dabei werden 2.500 Menschen verletzt, bis zu zwanzig kommen ums Leben“, hat der ADAC ermittelt. Zudem werden etwa eine halbe Million Wildtiere getötet. In Wirklichkeit dürften es jedoch weit mehr sein.

Zusammen mit Partnerklubs aus Österreich, der Schweiz, Slowenien und Spanien hat der ADAC einen ungewöhnlichen Crashtest durchgeführt: mit einem 180 Kilogramm schweren Wildschwein-Dummy als Unfallgegner. Dabei sollte untersucht werden, wie Fahrzeug und Insassen auf die enormen Kräfte reagieren, die freigesetzt werden. Immerhin wirken auf einen Pkw, der mit „nur“ 60 km/h auf ein Wildschwein trifft, etwa sechs Tonnen ein – das entspricht in etwa dem Gewicht eines Elefanten. Gleichzeitig wollten die Autoklubs herausfinden, ob moderne Fahrerassistenzsysteme in der Lage sind, einen Wildunfall zu verhindern.

Der Moment des Zusammenpralls. Mit 80 km/h erfasst das Auto den Wildschwein-Dummy

Bei dem Versuch krachte ein normaler Pkw mit 80 km/h auf den Keiler-Dummy. Obwohl der Stoß heftig war, blieb der Stuntman im Fahrzeug unverletzt. Das verdeutliche, „dass Verletzungen von Fahrzeuginsassen bei Wildunfällen meist nicht durch den direkten Aufprall des Tieres, sondern durch falsche beziehungsweise panische Reaktionen entstehen“, schlussfolgert der österreichische ÖAMTC. Mit anderen Worten: Wenn versucht wird, unkontrolliert dem Tier auszuweichen, droht der Wagen von der Fahrbahn abzukommen. Dadurch kann er in den Gegenverkehr geraten oder an einen Baum prallen.

Das Auto ist massiv beschädigt. Ein echtes Wildschwein oder auch ein Reh oder ein Hirsch hätten den Unfall vermutlich nicht überlebt

Neben einfachen Verhaltensregeln für Autofahrer helfen auch moderne Assistenzsysteme die Zahl der Wildunfälle zu reduzieren oder deren Folgen abzumildern, haben die Tester herausgefunden. Dabei kommen Nachtsichtsassistenten zum Einsatz, denn das Wild ist vor allem in der Dunkelheit aktiv, und die Infrarotsensoren sind in der Lage, die Wärmestrahlung nicht nur von Fußgängern zu erfassen, sondern auch von Tieren. Auf diese Weise wird der Autofahrer frühzeitig gewarnt, so dass er das Tempo reduzieren und sich auf das Bremsen vorbereiten kann. So sollte es idealerweise funktionieren.

Tatsächlich wurden die Testingenieure von der Wirkung der Assistenzsysteme überzeugt. Dennoch sieht der ADAC Grund zu Kritik. Denn ein serienmäßiger Einbau und die massenhafte Verbreitung der Technik seien „langfristig nicht in Sicht“. Die Nachtsichthelfer würden „bislang vor allem in der oberen Mittel- und Oberklasse angeboten – und dies nur als teure Sonderausstattung“. Eine klare Aussage in Richtung Autohersteller.

Ganz anders ist die Situation bei den Notbremsassistenten: Sie sind ab 2022 in Neuwagen vorgeschrieben. Aber auch hier gibt es einen Haken: Die Technik ist bislang auf die Erkennung von Fahrzeugen, Fußgängern und Radfahrern ausgerichtet, nicht auf Tiere. Daher betraten die Autoklubs mit dem Wild-Test von Notbremssystemen Neuland. Das Resultat: Die zwei Kompakt-SUV unterschiedlicher Hersteller konnten zwar einen Aufprall nicht verhindern. „Allerdings wird in einigen Situationen bereits eine Warnung und Bremsunterstützung ausgegeben“, erklärte der ADAC und regt an: „Gerade die häufig verbauten Radarsensoren könnten bei Dunkelheit oder Nebel ihre besonderen Stärken auch bei der Erkennung von Tieren ausspielen.“

Bis Wildunfallassistenten angeboten werden, müssen um so mehr die Autofahrer aufpassen. Runter vom Gas ist das Gebot der Stunde, wenn man an Wald- und Feldrändern oder an Alleen entlangfährt. Passiert man ein Verkehrsschild, das vor Wildwechsel warnt, sollte man es ernst nehmen, besonders in der Dämmerung, wenn die Waldtiere auf Nahrungssuche sind und Schwarz- und Rotwild, Füchse, Hasen oder Fasane immer wieder die Straßen überqueren.

Sieht man ein Tier am Straßenrand, heißt es abbremsen, das Fernlicht abblenden, hupen und langsam weiterfahren, rät der Münchner Autoklub. Um einen Auffahrunfall zu vermeiden, sollte auch der Abstand zum Vorderfahrzeug vergrößert werden, ergänzt der ÖAMTC. Und nicht vergessen: Unkontrollierte Ausweichmanöver sind lebensgefährlich. Für den Fall, dass eine Kollision nicht zu vermeiden ist, hält man das Steuer am besten mit beiden Händen gut fest, um beim Aufprall möglichst nicht die Spur zu verlassen.

Ein besonderer Tipp kommt von den leidgeprüften Schweizern. Laut einer Untersuchung des dortigen Kuratoriums für Verkehrssicherheit erwarten acht von zehn Autofahrern unbewusst, dass das Tier von rechts kommt. Da die Tiere aber mit den menschlichen Gewohnheiten nicht vertraut sind, empfiehlt es sich, öfter zum linken Fahrbahnrand zu schauen.

Beate M. Glaser (kb)
Fotos: ADAC