Die Unfälle sind grausam: Der Lastwagenfahrer übersieht beim Abbiegen an einer Kreuzung den Radler neben sich. Der gerät unter die großen Räder des schweren Fahrzeugs, starke bis tödliche Verletzungen sind die Folge. Der Stadtverkehr ist hektisch, die Berufskraftfahrer sind im Stress, der Bereich neben dem Fahrzeug schlecht einsehbar, und die Fahrradfahrer sind, selbst mit Helm, leicht verletzlich.
In der Bundesrepublik sterben jedes Jahr dreißig bis vierzig Radfahrer, weil sie an Kreuzungen von abbiegenden Lastern erfasst werden. 2019 machte sich zwar ein leichter Rückgang in der Unfallstatistik bemerkbar, nachdem das Thema Abbiegeassistent, das automatisches Warnsystem im Lkw-Cockpit, vorangebracht wurde. Jedoch deutet sich bereits jetzt an, dass 2020 besonders unfallträchtig wird, denn während der ersten sechs Wochen kamen bereits sechs Radfahrer durch rechtsabbiegende Lkw ums Leben. Die bisherigen Maßnahmen für mehr Sicherheit scheinen mit dem stetig steigenden Rad- und Lkw-Verkehr nicht Schritt zu halten.
Diese traurige Tatsache veranlasste nun zwei Verbände zu einer ungewöhnlichen Allianz. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) und der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) verständigten sich auf ein gemeinsames Positions- und Forderungspapier, in dem sie den Umbau der Infrastruktur für mehr Sicherheit und die beschleunigte Ausrüstung von Lkw mit Abbiegassistenten fordern. Die beiden Organisationen befürchten, dass ohne weitere Maßnahmen die Zahl der Verkehrsopfer weiter steigen wird. Deshalb sollen die Kreuzungen und die Ampelschaltungen so umgestaltet werden, dass Lkw- und Radverkehr räumlich voneinander getrennt werden und die Fahrer sich besser sehen können. Verschobene Grünphasen wären ein Mitteln, um gleichzeitiges Losfahren und damit einhergehende Kollisionen zu verhindern. „Kürzere Grünphasen für den Kfz-Verkehr sind zugunsten der Verkehrssicherheit und der Gleichberechtigung der Verkehrsarten in Kauf zu nehmen“, heißt es in dem gemeinsamen Papier von ADFC und BGL.
Verantwortung auch für die Berufskraftfahrer
Die Kommunen sollen überdies gefährliche Knotenpunkte entschärfen. Die erforderlichen finanziellen Mittel könnten, so die Verbände, dem Klimapaket des Bundes entnommen werden. Aus Sicht von ADFC und BGL sollte auch eine bestehende Forschungslücke geschlossen werden: „Schwere Unfälle müssen auch im Hinblick auf die Verbesserung der Infrastruktur systematisch ausgewertet werden.“. Daraus ließen sich bessere Vorgaben für den Straßen- und Kreuzungsbau entwickeln.
BGL-Vorstandssprecher Professor Dr. Dirk Engelhardt wies bei der Vorstellung des Papieres darauf hin, dass der Verband eine Verantwortung gegenüber den Berufskraftfahrern habe, die durch schwere Unfälle oft stark traumatisiert würden. Das gleiche gelte für die Angehörigen der Opfer, für die Augenzeugen, die Rettungskräfte und die Polizisten. Leidtragende würden nicht selten für Jahre und Jahrzehnte an Traumatisierung leiden.
Von den Lkw-Besitzern erwarten BGL und ADFC, dass sie in wirksame Abbiegeassistenten investieren. Neufahrzeuge sollten von vornherein damit ausgestattet sein, und die bestehende Flotte sollte nachgerüstet werden. Fördermittel des Bundes stünden bereit. Die Lkw-Industrie hingegen soll die Assistenzsysteme „schnellstmöglichst“ mit einer Notbremsfunktion kombinieren, um Unfälle wirksam zu verhüten. Zwar hat die EU die Einführung dieser Systeme bei Neufahrzeugen verpflichtend beschlossen, allerdings erst ab 2022. Zwei Jahre später müssen alle Lastwagen und Busse in der EU mit diesem wichtigen Sicherheitssystem ausgerüstet sein. Das ist für ADFC und BGL zu spät.
(Olaf Walther/kb)
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