//Mord und Tot-Ras

Mord und Tot-Ras

Dieselringträger Professor Dieter Müller sieht spätpubertäres Imponiergehabe

Der BGH hat erstmals ein Mordurteil wegen Rasens bestätigt. Ein 27-jähriger Litauer war in Hamburg ohne Führerschein und betrunken in einem gestohlenen Taxi vor der Polizei geflohen und hatte einen Frontalzusammenstoß mit einem anderen Taxi verursacht. Darin starb ein Passagier, der zweite sowie der Fahrer wurden schwer verletzt. Für das Landgericht der Hansestadt bestand das Mordmerkmal in der Verdeckungsabsicht in Form der Flucht. Der Jurist Prof. Dr. Dieter Müller, Direktor des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen (IVV) und Träger des Goldenen Dieselrings, plädiert für eine Doppelstrategie, um dem Raserproblem erfolgreich zu begegnen.

Motorjournalist: Herr Professor Müller, wer oder was ist denn das eigentlich, dieser „Raser“?

Dieter Müller: Zunächst muss man wissen, dass diese Personen eine charakterliche Prägung haben, die ihre Fahreignung grundsätzlich in Frage stellen. Mit anderen Worten ist es ein verkehrspsychologisches Problem. Wir sprechen fast zu 100 Prozent von Männern, und es hat etwas mit spätpubertärem Imponiergehabe zu tun. Sind diese Fahrer denn überhaupt richtig erwachsen geworden? Sie betrachten das Auto als eine Art Potenzersatz, jedenfalls betrachten sie es nicht neutral, sondern verbinden damit Emotionen auf eine ungesunde Art. Ihre Raserei ist eine Sucht, der sie meinen, nachkommen zu müssen, und die Straßen sind ihr Spielfeld.

MJ: In der Schweiz ist jetzt auch ein Polizist wegen Raserei zu einer Haftstraße von einem Jahr auf Bewährung verurteilt worden. Er war unter Blaulichteinsatz bei einer Verfolgungsjagd in Genf mit 126 km/h statt der erlaubten 50 km/h geblitzt worden. Die Geschwindigkeit bei einem Einsatz müsse verhältnismäßig sein, sagte das Gericht. Es sei nicht darum gegangen, Menschenleben zu retten, sondern um Einbrecher zu stellen. Darf die Polizei schneller fahren, als die Polizei erlaubt?

Müller: Die Polizei kann den Gefahren nur mit einer Konzentration auf zivile, gut motorisierte Einsatzfahrzeuge begegnen, die den Fahrzeugen der Straftäter auch folgen können. Im Wesentlichen schwimmen sie im Verkehr mit, wenn sie für Raserei bekannte Gegenden und nicht zuletzt die Autobahnen durchstreifen. Heutzutage werden sie immer fündig und sei es auch „nur“ ein Ampelrennen, das über wenige hundert Meter führt. Dabei kann man sich nicht immer an die jeweils gültige Höchstgeschwindigkeit halten, die man – nebenbei bemerkt – im Alltagsverkehr bei Bedarf auch durchaus unterschreiten darf. Die Verhältnismäßigkeit hat immer die oberste Richtschnur zu sein, selbstverständlich und gerade auch dann, wenn die Polizei deutlich schneller fahren muss. Gegebenenfalls muss man als Polizist auch einmal die Größe haben, eine Verfolgungsfahrt abzubrechen, um andere Verkehrsteilnehmer zu schützen. Bei dem Verfahren in der Schweiz hat der Verteidiger Berufung eingelegt; wir werden dann sehen.

MJ: Und wenn Delinquent – oder Delinquentin – gestellt sind?

Müller: Hinzutreten muss eine konsequente und vor allem schnelle Sachbearbeitung durch Polizei und Staatsanwaltschaft inklusive der sofortigen Beschlagnahme des Tatfahrzeugs. Der Fahrer muss sich seines Spielzeugs stante pede beraubt sehen. Im nächsten Schritt muss das Strafgericht schnell und ohne unangebrachte Milde urteilen. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis für fünf Jahre halte ich für gerechtfertigt, wenn eine andere Person verletzt wird und lebenslang, wenn eine andere Person getötet wird. Wenn „nur“ der Rasertatbestand vorliegt, ob nun bei einem Rennen zweier Fahrer oder einem Einzelrennen, sollte die Entziehung immer für zwei bis drei Jahre erfolgen. Bei einer solchen zeitlichen Entziehung hat der Verurteilte dann die Möglichkeit, sich in eine verkehrspsychologische Behandlung zu begeben, um aus seinen Fehlern lernen zu können und über diesen selbstkritischen Lernprozess seine Fahreignung wieder herstellen zu können.

MJ: Gibt es Anreize für Aussteiger aus der Szene?

Müller: Parallel gibt es ein interessantes Programm des ehemaligen illegalen Rasers Nico Klassen. Er mietet zum Beispiel kleinere Privatflugplätze und führt erfolgreich Viertelmeilenrennen als Präventionsveranstaltungen durch. Das müsste nach einer noch ausstehenden wissenschaftlichen Evaluierung staatlich gefördert werden, denn es ist ein erfolgversprechender Ansatz bei einem Suchtverhalten.

Erich Kupfer