Eine Erfindung von Volvo könnte den Sicherheitsgurt auf eine neue Stufe heben. Anfang des kommenden Jahres wird der schwedische Premiumhersteller ein neues Fahrzeug präsentieren, das erstmals mit einem multiadaptiven Sicherheitsgurt ausgestattet ist.
Es ist eine knifflige Angelegenheit für Ingenieure, Sicherheitsgurt und Airbag so einzustellen, dass bei einer Kollision die Person optimal aufgefangen wird und ihr Gesicht möglichst sanft in den Airbag eintaucht. In der Regel klappt das Zusammenspiel der beiden Rückhaltesysteme. Daher sind Soe die mit Abstand wichtigsten Lebensretter im Auto sind, auf denen alle anderen passiven Sicherheitssysteme aufbauen. Klappt es aber einmal nicht, schlägt der Prallsack entweder hart ins Gesicht, oder er verliert so schnell an Luft, dass man auf das Lenkrad aufschlägt. Schwere Verletzungen am Kopf sind die Folge. Die Entwickler von Gurt und Airbag haben also folgenreiche Einstellungen vorzunehmen. Dabei arbeiten sie mit Durchschnittswerten zu Größe, Gewicht und Körperform der Fahrzeuginsassen und richten danach die Technik aus. Das ist nicht optimal, denn schließlich können die Unterschiede bei Körperbau und Verletzbarkeit gravierend sein: zwischen Mann und Frau, Jung und Alt, Groß und Klein. Aus der Unfallanalyse ist längst bekannt, dass etliche schwere Verletzungen verhindert worden wären, wenn die Rückhaltesysteme auf sie eingestellt gewesen wären.
Multiadaptiver Sicherheitsgurt
Eine Erfindung von Volvo könnte Abhilfe schaffen und den Sicherheitsgurt auf eine neue Stufe heben. Anfang des kommenden Jahres wird der schwedische Premiumhersteller ein neues Fahrzeug präsentieren, das erstmals mit einem multiadaptiven Sicherheitsgurt ausgestattet ist. Dieser Gurt wird unter anderem mit verschiedenen Crash- und Außensensoren sowie mit der Insassenerkennung verbunden, um deren Informationen so zu verarbeiten, dass die Gurtkraft an die jeweilige Unfallsituation und zugleich an die individuellen Merkmale der Person angepasst wird. Volvo zufolge werden Gewicht, Größe, Körperbau, Sitzposition und Körperhaltung berücksichtigt. Hinzu kommen Fahrzeugdaten etwa zu Richtung und Geschwindigkeit. „So wird beispielsweise bei größeren Insassen und einem schweren Unfall die Gurtkraft erhöht, um das Risiko einer Kopfverletzung zu verringern“, erklärt Volvo das Vorgehen. „Bei kleineren Insassen oder weniger schweren Unfällen wird die Gurtkraft dagegen verringert, um das Risiko von Rippenbrüchen zu minimieren.“
Datenbank mit mehr als 80.000 verunfallten Fahrzeuginsassen
Für die Entwicklung des multiadaptiven Gurtes nutzten Volvos Ingenieure eine seit fünfzig Jahren aufgebaute Datenbank des Unternehmens, in der mittlerweile die Informationen von über 80.000 verunfallten Fahrzeuginsassen gesammelt sind. Daraus entwarfen sie mehrere Unfallszenarien, so dass die Zahl der Einstellungsvarianten für den Gurtkraftbegrenzer, der die Kraft eines auslösenden Sicherheitsgurtes festlegt, von bislang drei auf künftig elf erhöht werden konnten. „Dadurch lässt sich die Rückhalteleistung des Gurtes für jede Situation und jede Person optimieren“, verspricht Volvo.
Es begann mit einem Hosenträgergurt aus einem Flugzeug
Dieses systematische Vorgehen erinnert daran, wie der Sicherheitsgurt überhaupt erfunden wurde. Das auch bei Volvo: Ein Ende der 1950er Jahre von der Luftfahrt abgeworbener Spezialist sollte die Sicherheit der Volvo-Modelle erhöhen, um Voraussetzungen für einen erfolgreichen Eintritt in den US-Markt zu schaffen. Der Mann ließ sich von der Frage leiten, welche Stelle des menschlichen Körpers am besten geeignet ist, die bei einem Autounfall auftretenden Kräfte schadlos abzuleiten, und kam als Antwort auf die Brust und das Becken. Daraufhin nahm er sich einen Hosenträgergurt aus einem Flugzeug zum Vorbild und kreierte den Dreipunktsicherheitsgurt – dessen Prinzip bis heute gültig ist. 1959 feierte die Erfindung ihre Weltpremiere unter anderem im PV544, dem „Buckel-Volvo“.
Premiere im Januar 2026
Der heutige multiadaptive Gurt trägt seine Weiterentwicklung quasi in sich. Über drahtlose Softwareaktualisierungen „over the air“ kann er weiter verbessert und sogar erweitert werden, kündigt Volvo an. Und weil die Unfalldatenbank dank Digitalisierung und Vernetzung rasch größer und größer wird, ist man bei Volvo überzeugt, dass der Gurt schon bald neue Szenarien und Reaktionsstrategien erhält. Dann nähme seine Bedeutung als Schutz von Menschenleben sogar noch zu. Das britische „Time“-Magazin kürze den neuen Gurt jedenfalls zu einer der besten Erfindungen des Jahres. Seinen ersten Einsatz wird im Volvo EX60 haben, einem vollelektrischen SUV, das der Öffentlichkeit erstmals am 21. Januar 2026 in Stockholm vorgestellt wird.
Autor: Kristian Glaser (kb) in memoriam Beate M. Glaser; Abbildung: Pixabay / OpenIcons










