Gefährliche Entwicklung auf dem weltweit größten Automarkt
Viele Unternehmen wollen am E-Auto-Boom in China teilhaben Die Folgen sind Überproduktion und ruinöse Rabattschlachten. Die chinesische Regierung hat jetzt Gegenmaßnahmen angekündigt.
In China läuft das Autogeschäft ausgesprochen gut. Nach Angaben des Branchenverbandes CPCA (Chinesische Pkw-Vereinigung) wurden im Juni 18 Prozent mehr Modelle an Kunden ausgeliefert als im Vorjahresmonat, insgesamt 2,1 Millionen Pkw. In Deutschland kamen 2024 insgesamt 2,8 Millionen Personenwagen neu auf die Straßen. Motor des Booms auf dem ohnehin größten Automarkt der Welt ist die hohe Nachfrage nach Elektroautos, wie man sie sich in der „alten“ Autowelt Europas und Nordamerikas nur wünschen kann. Die vollelektrischen und Hybrid-Pkw zusammen machen mit 1,1 Millionen ausgelieferten Modellen im Juni mehr als die Hälfte des Automarkts im Reich der Mitte aus. Jedoch scheint das Geschäft zu gut zu laufen: Es droht eine gefährliche Überhitzung des Marktes. Die Regierung der Volksrepublik unterstützt die Transformation in Richtung E-Autos seit vielen Jahren durch verschiedene Maßnahmen. Etwa durch eine allgemeine Abwrackprämie beim Kauf eines neuen E-Autos, damit sich die Autofahrer schneller von ihren alten Verbrennern trennen. Dieses Angebot eines Kaufzuschusses endet jedoch in einigen Provinzen vorzeitig, weshalb Verbraucher schnell noch zugreifen.
„Null-Kilometer-Fahrzeuge“ heizen Rabattschlacht an
In freudiger Erwartung hoher Profite wollten viele Pkw-Bauer an dem lange erwarteten E-Auto-Boom teilhaben. Etliche Marken wurden unlängst erst gegründet, so dass nunmehr rund hundert chinesische Automarken gezählt werden. Verbunden mit einer offensiven Expansionsstrategie der großen chinesischen Autokonzerne, beflügelt durch die Erfolge der vergangenen Jahre, hat dies zu einer so starken Belebung der Automobilproduktion geführt, dass es zu einer Überproduktion gekommen ist. Beobachter sprechen von 3,5 Millionen Autos, die auf Halde stehen und auf einen Käufer in China oder auf den Export ins Ausland warten. Den Gesetzen des Marktes folgend, reagierten die Hersteller mit drastischen Preissenkungen. Ende Mai verbilligte Marktführer BYD mit einem Schlag 22 seiner Modelle auf dem chinesischen Markt um 35 Prozent, damit die Konkurrenz in die Knie gezwungen werden kann. So werden für das beliebte und gut ausgestattete Einstiegsmodell „Seagull“ umgerechnet weniger als 7.000 Euro verlangt. Manche Anbieter verkaufen ihre Fabrikate sogar unterhalb der Produktionskosten oder melden Fahrzeuge offiziell an, nur um sie als Gebrauchte vergünstigt loszuschlagen. In der Öffentlichkeit werden sie als „Null-Kilometer-Fahrzeuge“ bezeichnet.
Verheerende Wirkungen
Die Rabattschlacht hat mittlerweile ein ruinöses Ausmaß angenommen. Da die Autohersteller weniger Geld als geplant einnehmen, drohen ihnen die Finanzmittel auszugehen. Also wird an allen Ecken und Enden gespart und das Geld zusammengehalten. Beispielweise hält man Zulieferer bei der Zahlung für gelieferte Bauteile oder Dienstleistungen möglichst lange hin oder streicht die Ausgaben für Forschung und Entwicklung zusammen. Der Rotstift wird „sogar bei der Fahrzeugsicherheit, der Lebensdauer und der Zuverlässigkeit der Fahrzeuge“ angesetzt, wie Wei Jianjun, Vorsitzender des großen chinesischen Autokonzerns Great Wall, kürzlich dem „Handelsblatt“ verriet.
Ministerium kündigt Maßnahmen gegen ungezügelten Preiskampf an
Die Folgen der hitzigen Rabattschlacht werden von der Regierung in Peking offenbar als bedrohlich eingeschätzt. Ende Mai kündigte das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie an, gegen den ungezügelten Preiskampf einzuschreiten. Keine sechs Wochen später wurden Branchenvertreter direkt aufgefordert, in ihren Preiskämpfen nicht die Ausgaben für die Produktion eines Fahrzeugs zu unterschreiten. Auch die regierende Kommunistische Partei Chinas nimmt das Problem ernst. Anfang Juli erschien in dem Theorieorgan der KP ein Artikel, in dem problematisiert wird, dass die Innovationsfähigkeit chinesischer Autohersteller durch den Preiskampf behindert werde und damit die Position auf dem Weltmarkt eingeschränkt werde. In dem Artikel werden lokale Behörden dafür kritisiert, die riskante Preisspirale zu ignorieren und gleichzeitig um die Ansiedlung von E-Auto-Herstellern zu buhlen. Beides wird als gefährlich bezeichnet.
Regierung gegen „ungeordneten Niedrigpreiswettbewerb“
Wenige Tage nach Veröffentlichung des Artikels äußerte sich sogar Staatspräsident Xi Jinping zu dem Thema. Mit deutlichen Worten stellte er klar, dass die Regierung den „ungeordneten Niedrigpreiswettbewerb“ regulieren und dafür sorgen werde, dass die Firmen die Produktqualität verbessern. Überhöhte Produktionskapazitäten werde man „geordnet stilllegen“. Chinesische Medien warnen vor einer Krise ähnlichen Ausmaßes wie beim Platzen der Immobilienblase und erinnern an das Einschreiten der Behörden gegen große heimische Technologiekonzerne vor fünf Jahren, die nach Ansicht der Regierung über eine ungezügelte Marktmacht verfügten. Inzwischen ist die Rabattschlacht in der Automobilbranche auf andere Wirtschaftssektoren der Volksrepublik übergesprungen, etwa auf die Lieferdienste.
Autor: Kristian Glaser; Abbildung: Pixbay