Es ist nie zu früh: Der TÜV-Verband setzt in punkto Mobilität auf Bewusstseinsbildung und Training für Kinder und Jugendliche. Nur so könne riskantem Verkehrsverhalten vorgebeugt und Mobilitätserfahrung gesammelt werden
E-Scooter setzen sich immer mehr durch. Knapp eine Million dieser „Elektrokleinstfahrzeuge“, wie sie amtlich heißen, waren laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) 2023 auf den Straßen in Deutschland unterwegs. Das entspricht einer Zunahme von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mit ihrer zunehmenden Verbreitung werden die Stehroller verstärkt zum Thema für die Verkehrssicherheit. Immerhin erfasste die Polizei im Jahr 2023 rund 10.000 E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden. Dabei wurden 21 Menschen getötet. „Gerade bei den schmerzhaften Alleinunfällen ist aber von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen“, merkt die Dekra an. Ein Unfall mit einem wackligen E-Scooter führt leicht zu einer schweren Verletzung. Im vergangenen März veröffentlichte die Dekra die Ergebnisse eigener Crashtests, bei denen Dummys auf E-Stehrollern mit 20 km/h Tempo gegen eine Bordsteinkante fuhren und zu Fall kamen. Eines der Resultate: Bei dieser Art von Aufprall schützt selbst ein Helm längst nicht in allen Fällen vor Hirnverletzungen.
Aussicht: E-Scooter-Führerschein
Auch der TÜV-Verband, die Dachorganisation der regionalen TÜVs, hat sich der Verkehrssicherheit von E-Scootern gewidmet und daraus vor allem die Konsequenz gezogen, dass „Kinder und Jugendliche im Umgang mit motorisierten Verkehrsmitteln zu schulen“ seien. TÜV-Verband-Sicherheitsexpertin Fani Zaneta nennt als Vorbild die Radfahrausbildung in den Grundschulen. Die Jugendlichen würden auf den sicheren Umgang mit E-Scooter und E-Bike vorbereitet, und am Ende könne der E-Scooter-Führerschein „winken“.
Nahezu die Hälfte der verunglückten E-Scooter-Fahrer und Fahrerinnen unter 25 Jahren
Die Gesetzeslage erlaubt es bereits 14jährigen, sich auf einen E-Stehroller zu schwingen. Ein Führerschein ist generell nicht erforderlich. Die E-Scooter dürfen bis zu 20 km/h schnell werden, E-Bikes sind bis Tempo 25 zugelassen. Was sich als nicht allzu schnell ausnimmt, hat es unter Umständen doch in sich. „Fehlt es an Fahrtechnik, Mobilitätserfahrung und Kenntnis der Verkehrsregeln, steigt das Unfallrisiko für junge Fahrer und Fahrerinnen erheblich“, weiß Fani Zaneta und zieht zum Beleg die Unfallstatistik heran. Demnach waren im Jahr 2023 an die 42 Prozent der verunglückten E-Scooter-Fahrer nicht mehr als 25 Jahre alt. Für die TÜV-Expertin könnte eine Mobilitätsausbildung, die durchgehend von der Grundschule bis zur Oberstufe reicht, zur Vermeidung von Unfällen beitragen, weil die Jugendlichen „fit für die Herausforderungen im Straßenverkehr“ wären. „Davon würden alle profitieren, die am Straßenverkehr teilnehmen“, zeigt sich Zaneta überzeugt.
Aktuelle Mobilitätserziehung für Kinder reicht nicht
In Deutschland ist mit der Mobilitätserziehung oft bereits nach dem Fahrradführerschein in der Grundschule Schluss. Die Kinder lernen also gerade einmal einfache Verkehrsregeln kennen, und wie man eine Straße sicher überquert. Ab der dritten Schulklasse beginnt das Fahrradtraining, darauf folgt der „Fahrradführerschein“. Das ist aus Sicht des TÜV-Verbands bei weitem nicht ausreichend. Er fordert für die Kinder „bessere Chancen“, um „eine eigene Mobilitäts-Biografie im Laufe ihres Erwachsenwerdens zu entwickeln“. Die Mobilitätsbildung müsse mit der Zeit gehen, meint Zaneta. Der Straßenverkehr werde immer komplexer, denn der Fahrzeugbestand steige und neue Fortbewegungsmittel kämen hinzu. Kinder und Jugendliche bräuchten deshalb „eine durchgehende Mobilitätsausbildung von der Grundschule bis zur Oberschule“, so das Fazit. Bereits in den Kitas wären altersgerechte Angebote sinnvoll, und Schulen sollten nicht nur das Training auf dem Fahrrad anbieten, sondern auch auf E-Scootern.
„Systematische und durchgehende Mobilitätsausbildung“
Von einer „systematischen und durchgehenden Mobilitätsausbildung“ für Kinder und Jugendliche erhofft sich der TÜV-Verband, dass die jungen Menschen „besser auf die Teilnahme am Straßenverkehr und den Erwerb des Autoführerscheins“ vorbereitet werden. Dadurch werde insbesondere das Risikobewusstsein für den schwierigen Straßenverkehr gestärkt und das Verständnis für andere Verkehrsteilnehmer „geschult“. Dieser Ansatz, bereits bei Kindern und Jugendlichen auf Bewusstseinsbildung zu setzen und auf diese Weise riskantem Verhalten im Verkehr vorzubeugen, macht Sinn, wie eine weitere Unfallstatistik belegt: Demnach wurden 2023 rund 330.000 Rotlichtverstöße im deutschen Straßenverkehr registriert, dabei wurden immerhin rund 10.000 Personen verletzt oder getötet. Bei einer Verkehrsbeobachtung in fünf Großstädten stellte der ADAC im vergangenen Herbst fest, dass die zahlenmäßig kleinste Gruppe der beobachteten Verkehrsteilnehmer genau diejenige war, die am häufigsten rote Ampeln ignorierte: nämlich die E-Scooter-Fahrer.
Bußgeld zwischen 90 und 135 Euro
Auch andere Verkehrsregeln sollte man tunlichst beachten. Aus gutem Grund darf man mit dem E-Roller beispielsweise nicht auf dem Gehweg fahren oder zu zweit ein Gefährt benutzen. Kinder unter 14 Jahren dürfen auch mit elterlicher Aufsicht nicht durch die Gegend rollern, warnt der ADAC. Denn dann droht neben einem Bußgeld zwischen 90 und 135 Euro, dass man bei einem Unfall keinen Versicherungsschutz hat – „mit erheblichen Folgen für die Eltern“, mahnt der TÜV-Verband.
Autorin: Beate Glaser (kb); Abbildung: pixabay / Icsilviu