„Infrastruktur für die Stadt von morgen: Gute Lösungen für sichere Verkehrswege“: Unter diesem Titel stand die DVR Arena 2024 des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) in Berlin. In der Wartehalle Berlin diskutierten Expertinnen und Experten darüber, was moderne Verkehrsplanung zur Verkehrssicherheit in den Städten beitragen kann – und was Deutschland von erfolgreichen Modellen lernen kann. Erstmals wurde zudem der „DVR Vision Zero Award“ verliehen. Hier das Video zur Veranstaltung.
Wie wichtig das Thema Infrastruktur für die Stadt ist, beweist alleine das Jahr 2023, als in Deutschland innerorts ganze 66 Prozent der Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen sind, während sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs waren. Besonders erschütternd war die Zahl der getöteten Fußgängerinnen und Fußgänger, denn hier zeigte sich ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr um nahezu 19 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen laut DVR die hohe Dringlichkeit, die Infrastruktur an die modernen Anforderungen des innerstädtischen Verkehrs so anzupassen, dass alle Verkehrsteilnehmenden sicher an ihr Ziel kommen – egal, ob zu Fuß, per Rad oder mit motorisiertem Verkehrsmittel.
„Sich in andere hineinversetzen“
Laut DVR Präsident Manfred Wirsch leben heute 70 Prozent der Bevölkerung in Städten. Das verdeutliche umso mehr, welche immense Bedeutung die Gestaltung des innerstädtischen Verkehrsraums für mehr Sicherheit habe. Zu einem der zentralen Punkte zählt für den DVR Präsidenten dabei ein Perspektivwechsel, sprich, die Fähigkeit der Beteiligten sich in andere hineinzuversetzen. Das, so Wirsch, führe häufig zu einem Miteinander. Wer den begrenzen Raum in den Städten mit den diversen Nutzungsansprüchen in Einklang bringen will, sollte sich nach Überzeugung von Wirsch also frei machen von ideologischen Grabenkämpfen und vielmehr in integrierten Netzen denken. Der Interessengleich müsse pragmatisch und gerecht ausgestaltet sein.
Abb. 2
Beispiel Helsinki
Anni Sinnemäki, stellvertretende Stadtdirektorin für Stadtplanung der Stadt Helsinki, zeigte am Beispiel ihrer Stadt auf, wie der Weg zu Vision Zero möglich ist. Sei es durch Geschwindigkeitsbeschränkungen in der Stadt auf 30 Kilometer, sei es durch spezielles Straßendesign – die Möglichkeiten seien breit gefächert. Sinnemäki machte deutlich, wie In Helsinki der Verkehr neu gedacht wird und man damit klar vom autozentrierten Denken weggehe. Die bisher gezeigten überwältigenden Erfolge in Sachen Null Verkehrstote und Schwerverletzte geben der Ausrichtung der Stadt Helsinki absolut recht.
Kirstin Zeidler: Wir brauchen ein Gesamtpaket
Die Leiterin der Unfallforschung der Versicherer Kirstin Zeidler trat mit zentralen Botschaften zu den Themen Straße, sprich Infrastruktur, Fahrzeug, also Fahrzeugsicherheit sowie Verkehrsverhalten, also Mensch, an. Insgesamt 900 Menschen seien 2023 in innerdeutschen Städten, als 2 bis 3 Menschen pro Tag, 2023 gestorben. Die meisten davon seien per Rad oder Fuß unterwegs, also die Verletzlichen, sprich, die schwächsten Verkehrsteilnehmer. Es gäbe zwar keine einfachen Lösungen für mehr Sicherheit, aber große Hebel wie die Infrastruktur, die Fahrzeugtechnik und den Menschen, so Zeidler. So brauche Sicherheit eine einfache und verständliche Verkehrsführung. Unser System sei zu komplex. Sicherheit erfordere weniger Kollisionspunkte, aber auch mehr Sicht. Parkende Autos seien ein Problem, daher seien auch hier neue Lösungen gefragt. Sicherheit brauche zudem Platz, sagt Zeidler. Mit Blick auf die neue StVO und den größeren Handlungsspielraum für Kommunen in Sachen Tempo 30 meinte die Leiter der Unfallforschung der Versicherer, dass auch hier Lösungen nicht immer einfach seien. In den Fokus rückte Zeidler darüber hinaus Pedelecs, bei denen jeder 3. tödliche Unfall ein Alleinunfall sei, Lastenräder, aber auch Assistenzsysteme, die sich noch weiterentwickeln müssten. Was den Menschen mit Blick auf die Sicherheit in Städten betrifft, so fordert Zeidler mehr Verkehrskontrollen und härtere Strafen. Es sei bedenklich, wenn mehr als 60 Prozent der Verkehrsteilnehmer sagten, sie seien noch nie kontrolliert worden. Überhaupt habe laut Verkehrsklima 2023 das Sicherheitsgefühl abgenommen, während die Aggression gestiegen sei. Es fehle ganz allgemein das Bewusstsein. Die Frage sei also, wie die Verkehrsteilnehmer wieder rücksichtsvoller würden. Zeidlers Fazit für mehr Sicherheit in Innenstädten: „Wir brauchen ein Gesamtpaket, an dem Verkehrsplaner, Behörden, Hersteller, Kommunen, Ländern und jeder Einzelne beteiligt ist.“
Podiumsdiskussion: Wie gestalten wir einen sicheren Verkehrsraum in Innenstädtern?
In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es um das Thema „Wie gestalten wir einen sicheren Verkehrsraum in Innenstädtern, der den unterschiedlichen Anforderungen an Mobilität und Erreichbarkeit gerecht wird?“ Das Podium bestand aus hochkarätigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Branche: Dr. Heike van Hoorn, Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrsraums, Eberhard Tief, Geschäftsführer des Landesverbandes des Berliner und Brandenburger Verkehrsgewerbes e. V., Ellen Townsend, Policy Director des Europäischen Verkehrssicherheitsrats und Thomas Kiel d’Aragon, Verkehrsreferent des Deutschen Städtetages. Im Laufe der Diskussion wurde deutlich, dass Deutschland zwar Fortschritte in Sachen sicherer Verkehrsraum in Innenstädten macht, dass Städte wie Helsinki, Oslo, Brüssel, Paris oder Bologna wesentlich weiter seien. Damit sich auch hierzulande noch mehr ändere, sei es neben Geld vor allem wichtig, Dinge auszuprobieren, mutig in Verkehrsversuche zu gehen oder auch Pläne mit Zwischenzielen in Richtung lebenswerte Stadt zu entwickeln, so die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion.
Preisverleihung „DVR Vision Zero Award“
Im vergangenen Jahr feierte der „Tag der Verkehrssicherheit“ des Deutschen Verkehrssicherheitsrates sein 20. Jubiläum. Aus diesem Anlass hat der DVR einen neuen Preis ins Leben rufen, den „DVR Vision Zero Award“, der künftig jährlich verliehen wird. Mit diesem Preis ehrt der DVR alle diejenigen, die sich mit ambitionierten Sicherheitsmaßnahmen besonders für die Reduzierung von Unfällen im Straßenverkehr einsetzen und Deutschland so dem Ziel der Vision Zero – keine Getöteten und Schwerverletzten im Straßenverkehr – näherbringt.
Abb. 3
Die Preisträger 2025
Auf Platz 1 der Erstauflage des DVR Vision Zero Award mit einem Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro stand „Mit Helm – aber sicher!“ – Die interaktive Schulbox. Dieses Projekt der Kinderneurologie-Hilfe Berlin/Brandenburg am Unfallkrankenhaus Berlin sensibilisiert Schülerinnen und Schüler für die Bedeutung des Helmtragens. Mit einer praxisnahen Schulbox wird das Thema spielerisch und interaktiv vermittelt, um das Bewusstsein für Sicherheit und Eigenverantwortung zu stärken. Mehr Informationen: www.kinderneurologiehilfe-berlinbrandenburg.de
Platz 2 mit einem Preisgeld in Höhe von 3.000 Euro errang „Inklusiver Rollstuhlsport und Rollstuhlführerschein für Alle“. Die Abteilung ILOH des Rehasportvereins Mühlhausen bringt mit inklusiven Aktivitäten Menschen mit und ohne Handicap zusammen. Durch praktische Erfahrungen wie den Rollstuhlführerschein werden Barrieren abgebaut und die Sensibilität für Verkehrssicherheit und Inklusion gestärkt. Mehr Informationen: www.rehasportverein-mhl.de
Den 3. Platz mit einem Preisgeld in Höhe von 1.000 Euro erhielt CollisionEye® für seine technologische Innovation. Die EYYES GmbH hat ein KI-gestütztes Frühwarnsystem entwickelt, das Pannendienstmitarbeitende und Einsatzkräfte vor herannahenden Gefahren im Straßenverkehr warnt. Diese Technologie rettet Leben und erhöht die Sicherheit in hochriskanten Situationen. Mehr Informationen: www.eyyes.com
Insgesamt war die DVR Arena 2024 erneut eine Leuchtturmveranstaltung für noch mehr Fortschritte auf dem Weg zu Vision Zero.
Abb. 1 (Aufmacherbild): Prädikat „ausgezeichnet“: Die DVR Arena in der Wartehalle Berlin im Dezember vergangenen Jahres stach erneut durch ihre hervorragenden Vorträge und Diskussionen zum Thema Verkehrssicherheit und aktuell bezogen auf die Infrasturktur für die Standt von morgen hervor.
Abb. 2: DVR Präsident Manfred Wirsch forderte mit Blick auf mehr Sicherheit des innerstädtischen Verkehrssraums einen Perspektivwechsel und damit die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen sowie ein Denken in integrierten Netzen-
Abb.3: Mit dem neu ins Leben gerufenen DVR Vision Zero Award zeichnte der DVR erstmals drei Preisträger aus.
Autorin: Isabella Finsterwalder; Bilder DVR