//Müllers Kolumne: E-Scooter im Fokus

Müllers Kolumne: E-Scooter im Fokus

Eine Pressemitteilung des Deutschen Statistischen Bundesamtes (Destatis) ließ Ende Juli aufhorchen. Das neue Verkehrsmittel der E-Scooter wird von Beginn an mit Argusaugen beobachtet, einerseits durch deren Gegner, die ihre Befürchtungen bestätigt finden und andererseits deren Befürworter, die objektive Befunde relativieren wollen. Aber machen Sie sich selbst ein Bild, bevor Sie meine Bewertung lesen.
Die Pressemeldung lautet im Original wie folgt:

• „Zahl der E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden um 14 % auf 9 425 im Jahr 2023 gestiegen, Zahl der Todesopfer gegenüber Vorjahr von 11 auf 22 verdoppelt
• Falsche Fahrbahnnutzung und Alkoholeinfluss häufigste Unfallursachen
• Anteil der E-Scooter am Unfallgeschehen weiterhin gering, nimmt aber leicht zu

WIESBADEN – E-Scooter sind aus dem Straßenbild in Deutschland nicht mehr wegzudenken. Das führt auch zu Unfällen mit diesen Verkehrsmitteln. Besonders junge Menschen sind in solche E-Scooter-Unfälle verwickelt. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren im vergangenen Jahr 41,6 % der verunglückten E-Scooter-Fahrenden jünger als 25 Jahre, 80,4 % waren jünger als 45 Jahre. Dagegen gehörten nur 3,4 % der E-Scooter-Nutzenden, die an einem Unfall mit Personenschaden beteiligt waren, zur Altersgruppe 65plus. Zum Vergleich: Bei den Unfallopfern, die mit dem Fahrrad oder Pedelec unterwegs waren, war der Anteil in dieser Altersgruppe mit 19,6 % deutlich höher. Gleichzeitig war nur knapp die Hälfte (48,7 %) von ihnen jünger als 45 Jahre, nur 22,1 % waren nicht älter als 25 Jahre.
Insgesamt registrierte die Polizei im Jahr 2023 in Deutschland 9 425 E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden – das waren 14,1 % mehr als im Jahr zuvor (8 260 Unfälle). Dabei kamen insgesamt 22 Menschen ums Leben. Die Zahl der Todesopfer hat sich damit gegenüber 2022 verdoppelt, damals starben 11 Menschen bei E-Scooter-Unfällen. 1 220 Menschen wurden 2023 schwer verletzt und 8 911 leicht. 83,0 % der Verunglückten waren selbst mit dem E-Scooter unterwegs, darunter auch 21 der 22 Todesopfer.
Nicht enthalten sind Unfälle, die durch unachtsam abgestellte E-Scooter verursacht werden. In manchen Städten ist das Abstellen mittlerweile nur noch auf Sammelparkplätzen erlaubt.

Häufigste Ursachen im Jahr 2023: Falsche Nutzung der Fahrbahn und Alkohol

66,3 % der E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden im Jahr 2023 wurden von der Fahrerin oder dem Fahrer des E-Scooters verursacht. Unfälle können nicht immer auf einen einzigen Grund zurückgeführt werden. Häufig registriert die Polizei bei einem Unfall mehrere Fehlverhalten. Insgesamt registrierte die Polizei bei E-Scooter-Fahrerinnen und -Fahrern, die in einen Unfall mit Personenschaden verwickelt waren, in 9 296 Fällen Fehlverhalten. Das häufigste Fehlverhalten mit einem Anteil von 19,4 % war die falsche Benutzung der Fahrbahn oder der Gehwege. Die E-Scooter-Nutzenden müssen, so weit vorhanden, Fahrradwege oder Schutzstreifen nutzen. Ansonsten sollen sie auf Fahrbahnen oder Seitenstreifen ausweichen, das Fahren auf Gehwegen ist verboten.
Vergleichsweise häufig legte die Polizei den E-Scooter-Fahrerinnen und -Fahrern das Fahren unter Alkoholeinfluss zur Last (15,1 %). Zum Vergleich: Im selben Zeitraum waren es bei Fahrradfahrenden 8,1 % und bei zulassungsfreien Krafträdern wie Mofas, S-Pedelecs und Kleinkrafträdern 7,4 %. Nicht angepasste Geschwindigkeit war das dritthäufigste Fehlverhalten, das die Polizei bei E-Scooter-Fahrerinnen und -Fahrern feststellte (7,0 %), danach folgte die Missachtung der Vorfahrt (5,8 %).

60 % der E-Scooter-Unfälle ereigneten sich in Großstädten

Unfälle mit E-Scootern geschehen besonders häufig in Großstädten. Im Jahr 2023 wurden 59,8 % der E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden in Städten mit mindestens 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern registriert. Bei Unfällen mit Pedelecs (30,1 %) oder Fahrrädern ohne Hilfsmotor (45,2 %) war der Anteil deutlich geringer. Mehr als ein Drittel (36,4 %) der E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden spielten sich in Städten mit mindestens einer halben Million Einwohnerinnen und Einwohnern ab. Bei Unfällen mit Pedelecs waren es dagegen 12,3 %, bei Fahrrädern ohne Motor 26,3 %.
Ein Drittel der E-Scooter-Unfälle waren Zusammenstöße mit Pkw
Von den 9 425 E-Scooter-Unfällen mit Personenschaden im Jahr 2023 waren 3 189 (33,8 %) Alleinunfälle – das heißt, es gab keine Unfallgegnerin beziehungsweise keinen Unfallgegner. 12 der 21 auf E-Scootern Getöteten kamen bei Alleinunfällen ums Leben. Bei den Verletzten traf dies auf 38,9 % zu.
An knapp zwei Dritteln (6 115) der E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden war eine zweite Verkehrsteilnehmerin oder ein zweiter Verkehrsteilnehmer beteiligt, meist war dies eine Autofahrerin oder ein Autofahrer (3 930 Unfälle). Knapp die Hälfte (48,0 %) der verunglückten E-Scooter-Nutzenden verletzte sich bei eben solchen Zusammenstößen mit Pkw. Zum Vergleich: An 913 (9,7 %) E-Scooter-Unfällen waren Radfahrende beteiligt, bei diesen Zusammenstößen verletzten sich aber nur 4,5 % der verunglückten E-Scooter-Fahrenden.

Anteil an Unfällen mit Personenschaden binnen Jahresfrist von 2,9 % auf 3,2 % gestiegen

Insgesamt spielen E-Scooter im Unfallgeschehen eine vergleichsweise geringe Rolle: 2023 registrierte die Polizei insgesamt 291 890 Unfälle mit Personenschaden, lediglich an 3,2 % war ein E-Scooter-Fahrer oder eine E-Scooter-Fahrerin beteiligt. 2022 war der Anteil mit 2,9 % noch etwas geringer.
Deutlich wird der Unterschied im Vergleich zu Fahrradunfällen: Im Jahr 2023 hat die Polizei deutschlandweit rund 94 468 Unfälle mit Personenschaden registriert, an denen Fahrradfahrerinnen und -fahrer beteiligt waren, das war ein knappes Drittel (32,4 %) aller Unfälle mit Personenschaden. 446 Menschen, die mit einem Fahrrad unterwegs waren, kamen dabei ums Leben, 14 464 wurden schwer verletzt, 80 050 leicht.

Methodische Hinweise:
E-Scooter sind seit Inkrafttreten der Verordnung für Elektrokleinstfahrzeuge am 15. Juni 2019 im Straßenverkehr in Deutschland zugelassen. Elektrokleinstfahrzeuge sind Kraftfahrzeuge und somit versicherungspflichtig. Die Nutzerinnen und Nutzer müssen, so weit vorhanden, Fahrradwege oder Schutzstreifen nutzen. Ansonsten sollen sie auf Fahrbahnen oder Seitenstreifen ausweichen, die Nutzung der Gehwege ist verboten. Einen Führerschein brauchen die Fahrerinnen und Fahrer von E-Scootern nicht, sie müssen aber mindestens 14 Jahre alt sein. In Bezug auf Alkohol gilt die allgemein übliche 0,5-Promille-Grenze. Unter 21-Jährige und Führerschein-Neulinge dürfen sich keinerlei Alkoholkonsum erlauben, wenn sie E-Scooter fahren wollen.“

Und das ist mein Meinung:
E-Scooter waren ein von Beginn an umstrittenes Verkehrsmittel. Die aktuelle Verkehrsunfallbilanz beweist, dass es kein ungefährliches Verkehrsmittel ist, wenn denn überhaupt ein solches existiert; denn auch hier steht das Problem hinter der Lenkstange: Es sind die Fahrer, die entweder gegen Regelungen des Verhaltensrechts verstoßen oder ihr Verkehrsmittel einfach technisch nicht beherrschen.
Ärztliche Studien über die Verletzungsmuster bei Verkehrsunfällen mit E-Scootern haben schon früh bewiesen, dass Kopf und Gesicht sowie die obere Extremität die am meisten betroffenen Körperregionen bei E-Scooter-Unfällen sind. Im oft bemühten Vergleich von Unfällen mit E-Scootern mit Fahrradunfällen finden sich E-Scooter-Unfälle häufiger am Wochenende und in Kombination mit vorherigem Konsum von Alkohol. Unfallchirurgen, die solche Verkehrsunfallopfer regelmäßig auf dem Operationstisch vor sich haben, empfehlen seither proaktiv einen vollständigen Alkoholverzicht und zum passiven Schutz das Tragen eines Helms.
Die Verkehrspolitiker aus dem Bundestag und der Bundesregierung reagierten bislang nicht zum Schutz potenzieller Unfallopfer.

Allerdings befindet sich aktuell eine Vorlage des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) im Stadium der Verbändeanhörung, weil eine Reform der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV), in der das Verkehrsverhalten mit E-Scootern verbindlich geregelt ist, demnächst erfolgen soll. Eine Änderung der eKFV bedarf jedoch auch stets der Zustimmung der Mehrheit der Bundesländer im Bundesrat, sodass die Regierungen der 16 Bundesländer ebenfalls in der institutionellen und persönlichen Verantwortung für die Verkehrssicherheit der betroffenen Verkehrsteilnehmer stehen.
Da immer noch sehr viele Verkehrsunfälle mit E-Scootern durch alkoholisierte Fahrer verursacht werden, die meinen, mit einem „Spaß-Mobil“ und nicht mit einem Kraftfahrzeug unterwegs zu sein und daher Alkohol als eine vergleichsweise harmlose Droge ansehen, ist die Übertragung des vollständigen Alkoholverbots aus § 24c StVG (Alkoholverbot für Fahranfänger) beim Führen von Kraftfahrzeugen eine sehr sinnvolle Maßnahme. Die vorhandene Grenze von 0,5 Promille Blutalkoholkonzentration aus § 24a Abs. 1 StVG wird bereits nicht ernst genommen, sodass erst ein vollständiges Alkoholverbot die notwendige Klarheit schaffen würde. Sämtliche Verleiher von E-Scootern müssten dann deutliche Warnhinweise an ihren Leihkraftfahrzeugen anbringen, so weit nicht ohnehin schon geschehen.

Wenn das BMDV die Folgen der Verkehrsunfälle ernst nehmen will, müsste eine ministerielle Empfehlung für das Tragen eines Schutzhelmes ausgesprochen werden, weil eine Helmpflicht zwar schnell eingeführt wäre, aber mangels einer konsequenten Verkehrsüberwachungspraxis in der Realität scheitern würde. Anders zu beurteilen wäre die Sachlage allerdings, wenn auch den Vollzugsmitarbeitern der Kommunen die Anhalterechte im fließenden Verkehr zuzugestehen, die der Polizei in § 36 StVO verbrieft sind. Rechtlich problematisch wäre das nicht und der potenzielle Nutzen für die Verkehrssicherheit könnte enorm sein.
Zudem sollte die Pflicht eingeführt werden, für das Führen von E-Scootern die Kenntnisse aus einer Mofa-Prüfbescheinigung zu fordern, über die 14jährige bislang nicht verfügen und trotzdem mit E-Scootern fahren dürfen.
Die vorgeschlagene Ausrüstung neu in den Verkehr gebrachter E-Scooter mit Fahrtrichtungsanzeigern ist sinnvoll, bringt aber nur etwas für die Verkehrssicherheit, wenn Verstöße gegen die „Blinkpflicht“ auch konsequent verfolgt würden. Das klappt schon bei dem Autoverkehr nicht wie ein Blick in das Straßenverkehrsgeschehen zeigt, in dem das Blinken von den Fahrern nur allzu oft „vergessen“ wird.

Eine weitere technisch notwendige Verbesserung wäre die verpflichtende Ausstattung von E-Scootern mit Bremsleuchten, weil Bremsvorgänge aus der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h zuweilen sehr abrupt erfolgen können und manch ein Radfahrer davon überrascht wird.

Die oft zu beobachtenden Verstöße gegen die Mitnahmepflicht von Personen auf E-Scootern sind aktuell mit einem lächerlich niedrigen Verwarnungsgeld von 10 Euro bewertet. Angesichts der Tatsache, dass man einen Mitfahrer auf einem E-Scooter nicht „aus Versehen“, sondern nur bewusst mitnehmen kann, bedarf die Durchsetzung dieses Verbots dringend einer deutlichen Anhebung des Verwarnungsgeldes auf den aktuellen Höchstbetrag von 55 Euro, um überhaupt eine abschreckende Wirkung erreichen zu können.

Das Sicherheitsproblem steht also weiterhin am Lenker und auch wenn das Verhaltensrecht verschärft würde, kann nur eine Kombination aus Aufklärung und Verbesserung der Verkehrsüberwachung und Sanktionierung zu einer Lösung beitragen. Der warmen Worte sind schon viel zu viele gewechselt. Nun müssen endlich konkrete Taten folgen, um Menschenleben zu retten. Die geschehene Verdoppelung der Getötetenzahlen innerhalb eines Jahres ist jedenfalls ein Armutszeugnis für die staatliche Verkehrssicherheitsarbeit.

Weiterführende Links
Destatis Pressemitteilung vom 26.07.2024
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Reformvorschlag des BMDV
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Ärzteblatt: Studie zu Verletzungen bei Verkehrsunfällen mit E-Scootern
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Vortrag E-Scooter Prof. Müller
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Rechtsgutachten E-Scooter Prof. Müller
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Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik.

Foto: Silviu/Pixabay