Chinesen machen Tempo – doch erst der Kunde entscheidet über den Erfolg
Die Mobilitätsbranche ändert sich derzeit grundlegend – und das mit hohem Tempo. Alles läuft gleichzeitig und zudem ohne Orchestrator, der die einzelnen Aufgaben dieses Wandels strukturiert und auf die verschiedenen Akteure verteilt. Dennoch: Die zweite Auflage der vom VDA erneut veranstalteten IAA Mobility in München war ein mutiger Beweis dafür, dass möglichst viele Akteure der Branche an einen Tisch geholt werden müssen, um Mobilität neu bzw. weiterzudenken. Nachfolgend einige Impressionen vom diesjährigen Mobilitätsspektakel.
„Experience Connected Mobility“: Das Motto der IAA Mobility 2023, die vom 05. bis 10. September zum zweiten Mal in der bayerischen Metropole München stattfand, deutete bereits im Titel an, wohin es im Mobilitätssektor geht – nämlich zu mehr Vernetzung auf sämtlichen Ebenen. Angefangen beim digitalen Tech-Bereich im Auto über die Verknüpfung verschiedenster Mobilitätsformen bis hin zur Vernetzung der Kunden mit Vertretern aus (Automobil-) Wirtschaft, Politik und Forschung ging es den Veranstaltern der Messe darum, Mobilität nachhaltig und zukunftsfähig erlebbar zu machen.
Der IAA Open Space in der Münchner Innenstadt wurde dabei zum Schaufenster und Testlabor zugleich, so dass die Besucher mit dem Thema Mobilität in vielen Facetten auf Tuchfühlung gehen konnten. Das Messegelände dagegen war dem Branchenaustausch der verschiedensten Experten vorbehalten. Die Bilanz der IAA Mobility 2023 in ihrer zweiten Auflage in München ließ sich somit trotz vorangegangener Skepsis einiger Beobachter der Szene sehen: Mit insgesamt 500.000 Besuchern, 750 Ausstellern aus 38 Ländern, 8.500 Testfahrten mit Pkw und 4.000 mit Fahrrädern und E-Bikes, verschiedensten Fachgesprächen auf dem Münchner Messegelände und Festivalstimmung im Open Space war es eine gelungene Veranstaltung, die den Notwendigkeiten und Anforderungen des Mobilitätswandels entsprach. Ob die IAA Mobility allerdings auch in zwei Jahren wieder in München stattfinden wird, bleibt abzuwarten. So spekuliert die Presse aktuell darüber, dass auch Frankfurt wieder Ansprüche auf das Mobilitätsspektakel erhebt.
Viele Hersteller blieben der Messe fern
Möglicherweise vor dem Hintergrund, dass die Messe bereits zum zweiten Mal als ganzheitliches Mobilitäts-Ökosystem und nicht mehr als pures Automobilevent ausgerichtet war, verzichteten allerdings zahlreiche namhafte Automobilhersteller auf ihren Auftritt. So waren Marken wie Toyota, Kia, General Motors, aber auch Mazda, Suzuki, Jaguar oder auch Land Rover nicht dabei. Mit von der Partie waren dagegen unter den deutschen Autobauern Audi, BMW, Mercedes, Porsche, Volkswagen sowie Opel als einzige Tochter von Stellantis. Aber auch Mini, Cupra, Renault oder bspw. der kroatische Hersteller Rimac zeigten Flagge. Selbst Tesla ließ sich in diesem Jahr seine Teilnahme nicht nehmen und war zumindest in der Münchner Innenstadt mit einem Stand präsent.
Die Platzhirsche auf der diesjährigen IAA Mobility waren dagegen die chinesischen Autobauer – allen voran BYD, die Nummer eins auf dem Heimatmarkt in China. So waren nicht nur einige Messehallen zahlenmäßig bereits fest in chinesischer Hand, auch in der Münchner Innenstadt gaben sich die Autobauer aus dem Reich der Mitte die Klinke in die Hand. Darunter befanden sich Marken wie Seres, SAIC, FAW oder unter anderem auch die Geely Marken Lotus und Polestar sowie Dongfeng zu sehen. Auch Fahrzeuge wie die Limousine AVATR von bisher unbekannteren chinesischen Herstellern debütierten in München. Dabei entspringt der AVATR einer Kooperation des Autobauers Changan und Nio mit dem Batterieherseller CATL und dem Technologiekonzern Huawei. Während der AVATR vorerst nicht in Deutschland zum Kauf stehen wird, wollen hierzulande die chinesischen Fahrzeugmarke Leapmotor, die aus der Überwachungstechnik kommt und seine Kernkomponenten selbst herstellt, oder auch XPeng bereits 2024 an den Start gehen.
Der chinesische Superstar der diesjährigen Messe, BYD, zeigte im Übrigen allein schon mit seinem großflächigen, höchst attraktiv gestalteten Messestand Kante gegenüber den deutschen Autobauern. Aber auch Ankündigungen, wonach man sich mittelfristig in Europa in der Top-Position im E-Geschäft positionieren werde, ließen deutsche und europäische Hersteller aufhorchen. In China liefert die 1995 gegründete Automobilschmiede inzwischen mehr als eine Million BEV aus und liegt damit nahezu auf Augenhöhe mit Tesla. Weit dahinter abgeschlagen rangiert Volkswagen. Auch in Deutschland rechnet sich BYD mit ihren von Wolfgang Egger designten Fahrzeugen, wie dem SUV-Mittelklassefahrzeug Dolphin oder der Mittelklasselimousine Seal und Seal U, hervorragende Chancen bei der Kundschaft aus. Egger war früher für das Design bei Audi verantwortlich und kennt den Geschmack der europäischen Kunden bestens.
Der Volksstromer von VW kommt erst 2025
Zwar präsentierten sich auch die deutschen Autobauer auf der diesjährigen IAA mit interessanten Elektrofahrzeugen und Reichweiten von teilweise mehr als 700 Kilometern – sei es BMW mit seinem neuen i5 als Limousine und Touringversion, Mercedes mit dem CLA als Luxus-Stromer, Volkswagen mit dem ID.2 für die 25.000-Euro-Klassen oder auch Opel mit dem vollelektrischen Opel Manta. Allerdings gibt es diese E-Fahrzeuge meist erst ab 2025 zu kaufen.
Gerade mit Blick auf einen günstigen Volksstromer aber wäre es für den Volkswagen Konzern sicher gut gewesen, hätte er bereits zur IAA hier Flagge gezeigt. So wird es nach wie vor als großes Manko gewertet, dass europäische Autobauer im Wesentlichen auf Premium-E-Autos setzen, um ihre Margen zu sichern – kleinere E-Autos sind hier bislang Mangelware. Die Gefahr, dass diese Lücke im Gegenzug durch günstige, chinesische Kleinwagen gefüllt wird, ist groß, denn Chinas Autobauer decken bereits heute meist die komplette Pkw-Bandbreite vom Kleinstwagen bis zu den großen Premiumfahrzeugen ab. Für den weiteren Markthochlauf der Elektromobilität muss laut Prof. Dr. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management daher das Modellangebot von preisgünstigen Fahrzeugen bei den deutschen Autoherstellern deutlich erhöht werden.
Trotz ganzheitlicher Mobilitätskonzepte: Die Lust auf Auto bleibt
Mobilität von morgen müsse einfach, sauber, komfortabel und erschwinglich sein, bekräftigte denn auch Bundeskanzler Olaf Scholz bei der offiziellen Eröffnung der Mobilitätsmesse und unterstrich erneut das Ziel der Bundesregierung, wonach bis 2030 ganze 15 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen fahren sollen. Scholz rief zudem die Autohersteller auf, billigere E-Autos anzubieten. Gleichzeitig kündigte der Kanzler einen Schub für den Ausbau von Ladestationen an. Bis 2030 sollen laut Scholz eine Million Ladepunkte installiert sein. Daher werde die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg bringen, mit dem die Betreiber nahezu aller Tankstellen dazu verpflichtet werden, Schnellademöglichkeiten mit mindestens 150 Kilowatt für E-Autos bereitzustellen.
Zwar machte die IAA Mobility 2023 nochmals insgesamt klar, dass die Klimakrise das Auto als glückseligmachendes Freiheitssymbol zugunsten ganzheitlicher Mobilitätskonzepte zurückgedrängt hat. Gleichwohl rangiert der Wunsch nach individueller Mobilität in der Kundengunst weiter oben, möglicherweise ohne den Besitz, dafür aber als „mobility as a service“. Überhaupt bleibt laut VDA Präsidentin Hildegard Müller die Lust aufs Auto bestehen. So werde es weiter eine Schlüsselkomponente sein, allerdings gleichzeitig eine von mehreren Dimensionen der Mobilität. Entsprechend wurde Müller auch bei der zweiten Neuauflage der IAA Mobility nicht müde, zu betonen, dass es mehr denn je klar um Lösungen geht, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, die Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammendenken und die Transformation der Branche zu einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte machen.
Mit Blick auf das Gesamtkonstrukt Mobilität unter einem Orchestrator forderte Prof. Dr. Andreas Herrmann von der Universität St. Gallen alle Beteiligten dazu auf, den Mut zu haben, groß zu denken. Mit Blick auf eine Transformation zu einer smarten Mobilität appellierte er zudem an Verkehrsminister Volker Wissing, bereit zu sein, auch die Städte selbst umzubauen. Damit bestätigte der Mobilitätsforscher einmal mehr nicht nur die Ankündigung eines entsprechenden PWC Expertentalks auf der IAA, sondern auch generell die Notwendigkeiten für eine funktionierende Mobilität der Zukunft: „Smarte Mobilität ist weit mehr als die Elektrifizierung des Antriebs. Die Transformation zu einer smarten Mobilität heißt Mobilität von Grund auf neu zu denken. Ohne Scheuklappen, mutig und inklusiv.“
Text und Fotos: Isabella Finsterwalder
In der Bildergalerie finden Sie ein Potpourri an Impressionen zur IAA Mobility inklusive des vorgelagerten 2. Münchner Mobilitätskongresses im Deutschen Verkehrsmuseum auf der Theresienhöhe in München mit interessanten Sprechern aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft.