Die Transformation der Kfz-Branche ist Fakt. Zur Bewältigung gefragt sind innovative Autohausstrategien. Wie diese optimaler Weise aussehen könnten, weiß Prof. Stefan Reindl, Studiendekan und Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) in Geislingen/Nürtingen.
Nahezu alle Zeichen in der Kfz-Brache stehen auf Rückgang. Gab es nach Angaben des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) im Jahr 2000 noch 526.000 Beschäftigte, sank die Zahl bis 2020 auf 436.200 und damit um 17 Prozent. Auch die Zahl der Betriebe reduzierte sich im gleichen Zeitraum um 22,2 Prozent von 47.000, davon nahezu hälftig 23.350 freie und 23.650 fabrikatsgebundene Betriebe, auf 36.580, davon wiederum 21.980 freie (minus 5,9 Prozent) und gerade mal noch 14.600 fabrikatsgebundene (minus 38,3 Prozent). Im gleichen Zeitraum schrumpfte auch die Zahl der Autohausunternehmen deutlich. Die fortschreitende Konsolidierung ist nach Erkenntnissen von Prof. Reindl symptomatisch für die Transformation der Branche. So ist die Zahl der Handelsunternehmen und -gruppen zwischen 2010 und 2020 um 78 Prozent von 18.000 auf 6.800 zurückgegangen. Im Jahr 2030 sollen es nur mehr 3.900 sein – für Prof. Reindl ein klares Zeichen dafür, dass wenige große Handelsgruppen künftig den Absatzmarkt beherrschen werden. So verzeichneten allein die 20 größten Handelsgruppen im Jahr 2020 einen Fahrzeugabsatz mit Neu- und Gebrauchtwagen von weit mehr als 600 Tsd. Fahrzeuge (663.194) und damit ein Plus von 21 Prozent gegenüber 2010 mit 548.844 Fahrzeugen. Die Umsatzentwicklung über alle Betriebe der Kfz-Branche hinweg verlief in den zurückliegenden Jahren ebenfalls positiv. So kletterten die Erlöse in den Jahren 2000 bis 2020 um 48, 4 Prozent und zwar von 124,5 auf 184,8 Milliarden Euro.
Durchbruch der Elektromobilität
Schaut man sich den in den vergangenen Jahren die Entwicklung für Neu- und Gebrauchtfahrzeuge an, zeigt sich ein klar rückläufiger Trend: So sank der Markt für Fahrzeugneuzulassungen nach KBA-Angaben auf zuletzt (2021) 2,62 (2020: 2,92) Millionen Neufahrzeuge, der für Besitzumschreibungen auf zuletzt 6,70 (2020: 7,02) Millionen Gebrauchtwagen. Fraglich ist, wie es danach weitergeht. Prof. Reindl betont „Wann der Markt zu alter Größe zurückkehrt, ist ungewiss.“ Fakt für den IfA Direktor ist indes, dass die Elektromobilität den Durchbruch schaffen wird. Der Anfang ist gemacht. Waren es laut KBA 2020 erst 6,7 Prozent aller Neuzulassungen, rechnet Reindl mit 18 Prozent im Jahr 2025 und ganzen 34 Prozent fünf Jahre später. Bezogen auf den Fahrzeugbestand betrug der Anteil der batterieelektrischen Fahrzeuge (BEV) 2021 laut KBA lediglich 0,5 Prozent. Für 2026 rechnet Studiendekan Reindl mit 6,2 und 2031 mit 15,9 Prozent BEV am Gesamtbestand. Mit der Zeit, so Prof. Reindl, würden dabei auch hemmende Faktoren für den Markthochlauf, seien es der Fahrzeugpreis, die Reichweite oder die Ladeinfrastruktur an Bedeutung verlieren. Entscheidend für den Erfolg der Kfz-Branche angesichts dieser Transformation sei jedoch, diesem Trend sofort und beherzt zu begegnen. Prof. Reindl zur Begründung: „In E-Fahrzeugen gibt es rund 70 Prozent weniger Teile, eine rund 20 Prozent geringere Fertigungstiefe, geringere Wartungs- und Reparaturbedarfe sowie weniger Beschäftigte bei Herstellern, Zulieferern und dem Kfz-Gewerbe. Einen weiteren Aspekt, der laut Prof. Reindl nicht außer Acht gelassen werde dürfe, betreffe das geänderte Kompetenzprofil der Werkstattmitarbeiter: „Es ist jetzt weniger die klassische Mechanik, sondern mehr Know-how in den Bereichen Batterie, Software und Werkstoffe gefragt.“ Insgesamt gibt es laut Reindl zahlreiche Treiber im Zuge des „E-Wandels“. Im Einzelnen nennt der IfA-Chef die Fahrzeugkomplexität und -elektronik, die Investitionen und Kosten in die Höhe, treiben, das steigende Durchschnittsalter des Fahrzeugbestandes, eine durch Fahrerassistenzsysteme reduzierte Unfallhäufigkeit, geringere Werkstattumsätze (Teile und Arbeitsstunden) oder auch die Tatsache, dass die Fahrzeugkonnektivität künftig mehr denn je über den Zugriff auf das Fahrzeug entscheidet (Over-the-air = OTA-Dienste). Weitere Transformationsfaktoren betreffen die abnehmende Fahrzeuglaufleistung, u. a. durch Homeoffice, eine steigende Anzahl an Fahrzeugen in den Händen von Flotten und Fuhrparks oder auch Trends, wonach Fahrzeughersteller ihr Ersatzteilegeschäft ausbauen, Online-Plattformen zunehmend in die Schnittstelle zwischen Anbieter und Nachfrager drängen oder auch Spezialanbieter den Preisdruck erhöhen werden.
Werkstattgeschäft bleibt wichtige Ertragssäule
Sei es, wie es ist. Das Werkstattgeschäft bleibt nach Überzeugung von Prof. Reindl von größter Bedeutung für die Kfz-Branche und zwar als Ertragssäule, zur Stabilisierung des Autohaus-Geschäftsmodells wie auch zur Kundenbindung. Gleichwohl sind laut Reindl wichtige Anpassungen erforderlich. Als die wesentlichen Herausforderungen im Automobilservice nennt der IfA Direktor die Digitalisierung und Elektrifizierung der Antriebe. Reindl: „Was die Digitalisierung betrifft, wird ein Aussitzen nicht möglich sein. Die Digitalisierung ist nötig, aber es existiert nicht das eine Konzept.“ Mit Blick auf die Elektrifizierung der Antriebe rät Reindl den Betrieben zudem, vernachlässigte Leistungsangebote, wie zeitwertgerechte Reparaturen, zurückzuholen, aber auch neue Angebotsinitiativen, wie die Vermarktung von Micro-Mobilität, wie E-Scooter, oder die Schaffung der Infrastruktur für neue Kunden batterieelektrischer Fahrzeuge in den Markt zu werfen. Prof. Reindl: „Um die Kunden mitzunehmen sind Komplettpakete aus einer Hand notwendig.
Gefragt sind Ansätze zur Optimierung der Mobilität
Die Mobilität besteht heute aus zahlreichen Facetten. Um hier den Kunden abzuholen, gilt es, verschiedene Ansätze zur Zukunft zur Optimierung der Mobilität zu fahren. Gerade mit Blick auf neue Fahrerassistenzsysteme und autonomes Fahren kämen zahlreiche technische, kompetenzseitige und rechtliche Herausforderungen auf Werkstätten und Autohäuser zu. Aber auch vor dem Hintergrund, dass sich das Automobil mehr denn je zum rollenden App-Store und damit zu einem Zentrum eines Dienstleistungsnetzwerkes entwickelt, müsse das Kfz-Gewerbe bereit für Veränderungen sein. Prof. Reindl: „Digitalisierung ist ein notwendiger Schritt. Entsprechend erzwingt die Digitalisierung Anpassungen in zahlreichen Bereichen der Betriebe, sei es bei den internen Prozessen, bei Produkten und Dienstleistungen oder sei es bei der Kundeninteraktion.“ Insgesamt, so ist Reindl überzeugt, werden künftig alle Autohaus-Prozesse digital unterstützt. Gefragt sei Phygitalität, sprich eine Verschmelzung von Online und Offline, angefangen bei der Information, Kontaktaufnahme und Bedarfsermittlung, über die Fahrzeupräsentation und -konfiguration, die Beratung, die Probefahrt und die Bewertung des Vorwagens bis hin zur Angebotserstellung des Neuen, den Vertragsabschluss, zur Auslieferung und schließlich zur Nachkaufbetreuung.
Der Online-Kanal ist in der Realität angekommen
Wenngleich für Prof. Reindl der Onlinevertrieb in der Realität angekommen bzw. dieser in unterschiedlichen Varianten in der Erprobung ist, steht für ihn fest: „Automobilvertrieb erfordert immer auch eine persönlich-reale Kontaktaufnahme. Außerdem sind Online-Prozesse nicht in jedem Fall um- und einsetzbar.“ Gleichwohl muss der Studiendekan mit Blick auf das immer bedeutender Agenturmodell, bei dem der Händler nur mehr die Vermittlerrolle einnimmt, konstatieren, dass Hersteller und Händler hier zwar enger zusammenwachsen, jedoch der Einfluss der Hersteller auf die Händlerebene klar wächst. So reduziere die Agentur eindeutig die unternehmerische Gestaltungsmöglichkeiten und Freiheiten, die Motivation zu aktiver Absatztätigkeit sowie die betriebswirtschaftliche Tragfähigkeit des eigenen Betriebes. Dagegen spreche für ein Agenturmodell die Eindämmung des Intrabrandwettbewerbs und die Übertragung der Geschäftsrisiken an den Agenturgeber.
Eigeninitiative seitens Händlern und Werkstätten erfolgsentscheidend
Für IfA-Direktor Reindl entscheiden eigene Geschäftsmodelle und -konzepte für das Kfz-Gewerbe mehr denn je über die Zukunft der Branche. „Eigeninitiative ist somit ein wesentlicher Erfolgsfaktor“, bringt es Reindl auf den Punkt. „Think big and be smart“, sprich, denke groß und handle klug, empfiehlt er den Betrieben. Beispielsweise erforderten neue Entwicklungen im Vertrieb eigenständige Strategien, notwendig seien zudem innovative Angebotsleistungen in der Werkstatt, eine Schärfung des Händlermarkenprofils, die Optimierung der Aufbauorganisation mit Spartenverantwortung oder auch neue Führungskonzepte.
Fazit
Für den Direktor des IfA Instituts heißt Transformation Zukunft gestalten, denn neue Herausforderungen erfordern innovative Autohausstrategien. „Es muss der Branche gelingen, ein ‚mobitity competence center’ aufzubauen, in dem neue und optionale Angebote im Geschäftsmodell Autohaus in den Bereichen Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen, aber auch Aftersales offeriert werden. Nur so kann dem tiefgreifenden Wandel der Branche erfolgreich begegnet werden “, resümiert IfA Chef Prof. Stefan Reindl.
Isabella Finsterwalder
Titelfoto: VW
10 Thesen zur Transformation der Kfz-Branche von Prof. Reindl
These 1: Konsolidierung und Konzentrationsprozesse schreiten fort.
These 2: Wann der Markt alter Größe zurückkehrt, ist ungewiss.
These 3: Elektromobilität schafft den Durchbruch.
These 4: Werkstattgeschäft bleibt von größter Bedeutung.
These 5: Vernetzte Mobilität erfordert automatisierte Fahrsysteme.
These 6: „Always connected“ mit vielfältigen Herausforderungen
These 7: Digitalisierung ist Enabler und Engpassfaktor.
These 8: Der Online-Kanal wird Realität.
These 9: Der Einfluss der Hersteller auf die Händlerebene wächst.
These 10: Händler benötigen eigene Geschäftsmodelle und -konzepte.