Am Ende des Jahres wird künftig abgerechnet. Erreichen die Automobilhersteller in Europa bis dahin die vorgeschriebenen CO2-Emissionsgrenzwerte oder nicht? Wenn nicht, drohen sehr hohe Strafzahlungen.
Die EU fordert einen durchschnittlichen Flottenverbrauch aller verkauften Neu-Pkw für 2020 und 2021 von höchstens 95 Gramm CO2 pro Kilometer (g/km). Das entspricht im Schnitt 4,0 Liter Benzin oder 3,6 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Erlaubt ist den Herstellern, gemeinsam einen „Pool“ zu bilden. Das heißt, dass sich ein Unternehmen mit zu hoher Emissionsbilanz mit einem Wettbewerber mit niedrigen Werten zusammentun kann, damit beide die Vorgaben erfüllen – wofür zum Ausgleich Geld fließen wird. Ansonsten wird der Flottenverbrauch pro Gesamtkonzern ermittelt, und zwar anhand der offiziellen Normverbrauchswerte der verkauften Modelle. Abgeschwächt werden die strengen Vorgaben dadurch, dass jeweils die fünf Prozent der schmutzigsten Autos herausgerechnet werden.
Nach einer aktuellen Studie des europäischen Umweltdachverbandes „Transport and Environment“ (T & E), dem aus Deutschland der Verkehrsclub Deutschland (VCD) angehört, erreichten zum Stichtag 30. Juni 2020 längst noch nicht alle Hersteller die vorgegebenen Werte. Volkswagen liegt demnach 5 g/km CO2 über dem Limit und Daimler sogar neun Gramm darüber. Einzig Jaguar-Land Rover steht mit 13 Gramm zu viel noch schlechter da. Zwei Gramm zu viel weisen Renault, Nissan, Toyota, Mazda und Ford auf. Hyundai und Kia liegen drei beziehungsweise sieben Gramm zu hoch. Das Soll konnte dagegen bereits im ersten Halbjahr PSA (Peugeot, Citroën, Opel/Vauxhall, DS) erfüllen, außerdem BMW, Volvo und Fiat-Chrysler– letzterer aber nur durch einen Pool mit Tesla.
Das hieße, dass auf Volkswagen – mitten in der Coronakrise – eine Strafzahlung von einer Milliarde Euro zukäme, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet, für Daimler wäre demnach eine halbe Milliarde Euro fällig. Ob diese Zahlen zum Jahresende Bestand haben werden, ist allerdings fraglich. Denn die Nachfrage nach Elektro- und Hybridautos geht steil nach oben und drückt damit den Flottendurchschnitt. Nach Schätzungen von T & E wird der Marktanteil der Stromer zum Jahresende in Europa auf zehn Prozent steigen, 2021 sogar auf 15 Prozent – im vergangenen Jahr lag dieser Wert erst bei drei Prozent. Speziell Volkswagen wartet in diesem Jahr mit zwei elektrischen Hoffnungsträgern auf, dem ID.3 und dem ID.4, und von Mercedes gibt es eine Reihe neuer Plug-in-Hybrid-Modelle. Insofern ist bis zum Jahresende noch mit erheblicher Bewegung im Flottenverbrauch zu rechnen.
Insgesamt betrachtet, sieht es überraschend gut aus für die Autohersteller. Noch vor wenigen Monaten war geunkt worden, die extrem strengen CO2-Vorgaben aus Brüssel würden reihenweise hohe Milliardenstrafen bedeuten und daher Arbeitsplätze kosten und die Innovationsfähigkeit der europäischen Autoindustrie einschränken. Diese Prognose scheint sich nicht zu erfüllen.
Es gibt aber auch Kritik an den Grenzwerten der EU. So stehen die offiziellen Verbrauchswerte der Plug-in-Hybrid-Autos schon länger im Verdacht, völlig unrealistisch zu sein. Es gibt Anzeichen, dass sie von den Besitzern nur sehr selten von außen aufgeladen werden. Dann kehrt sich der verbrauchsreduzierende Effekt des Hybridsystems ins Gegenteil um, weil der Verbrennungsmotor ineffizienterweise die Batterie auflädt und sie dann auch noch mitschleppen muss. Das heißt: Die niedrigen Normverbrauchswerte der Plug-in-Hybriden entsprechen kaum dem Spritkonsum im Alltag, helfen aber den Herstellern erheblich, teure Strafzahlungen zu verhindern.
E-Autos sollen SUV ausgleichen
Moniert wird außerdem, dass in der Berechnung des Flottenwertes die umweltfreundlicheren Elektroautos die schweren und stark motorisierten SUV ausgleichen, die ungebrochen im Trend liegen und an denen die Hersteller ausgesprochen gut verdienen. T & E fordert ein EU-weites Verbrenner-Ende bis spätestens 2035.
Vorläufig ist die Umweltorganisation aber zufrieden mit den Flottenverbrauchswerten: „Die Autohersteller sind auf Kurs, um ihre Ziele für 2020 zu erreichen und Geldstrafen zu vermeiden“, sagte Stef Cornelis, Deutschland-Direktor von Transport and Environment. Er sieht in den strengen Abgasnormen die Ursache für den beginnenden E-Auto-Boom und meint, dass Deutschland Europas Vorreiter bei der Elektromobilität werden könne.
Die CO2-Flottengrenzwerte der EU sollen für den Zeitraum von 2022 bis 2030 um 37,5 Prozent heruntergesetzt werden, so ist es beschlossen. Im kommenden Sommer will die EU-Kommission aber über neue Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors entscheiden, dessen Klimabilanz als sehr schlecht gilt. In diesem Rahmen könnten die CO2-Flottengrenzwerte, wie es heißt, weiter auf 50 Prozent reduziert werden.
Kristian Glaser (kb)
Foto: Schafft VW mit dem ID.3 die Zielmarke für den Flottenverbrauch? Foto: VW