Spätestens mit der Internationalen Automobilausstellung (IAA) im vergangenen September wurde deutlich, wie tief der Vertrauensverlust der Branche in der breiten Öffentlichkeit ist, als Demonstrationen und Protestaktionen vor allem von Umweltorganisationen die Schlagzeilen bestimmten und die Chefs der Autokonzerne in die Defensive drängten. Nur 560.000 Menschen besuchten die IAA – zwölf Jahre zuvor waren es eine Million gewesen.
Nun will der ausrichtenden VDA die IAA konzeptionell umkrempeln. Sie soll auch außerhalb der Messehallen stattfinden und sich zu einer Art erlebbarer Mobilitätsplattform der Zukunft wandeln. Damit soll dem Besucherschwund entgegengearbeitet werden, gleichzeitig will man Antworten auf die Herausforderungen der Zeit präsentieren und das Ansehen der Branche verbessern.
Im Mittelpunkt der neuen IAA wird weiterhin das Auto stehen, doch soll auch die Verbindung mit anderen Verkehrsmitteln hergestellt und die Diskussion mit der Öffentlichkeit gesucht werden. Neben der Präsentation neuer Fahrzeuge und Technologien mitsamt Konferenzen und „Erlebniswelten“ sollen Teststrecken etwa für automatisiertes Fahren oder alternative Antriebe auf abgesperrten Arealen in der Stadt angeboten werden, flankiert von öffentlichen Veranstaltungen. Auch die Verschmelzung von Auto, ÖPNV und Infrastruktur soll im öffentlichen Raum erfahrbar werden. Darüber hinaus will der VDA Kritiker der Autobranche zu Wort kommen lassen und den Dialog suchen. Auf Druck der Autohersteller soll die IAA auch einen Verkaufscharakter erhalten, was bislang penibel vermieden wurde.
Die gastgebende Stadt soll sich organisatorisch, finanziell und infrastrukturell beteiligen, weshalb der VDA den Veranstaltungsort für die IAA 2021 ausgeschrieben hat – das Verfahren erinnert von der Ferne an eine Olympiabewerbung. In Frage kommen Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart, die ihre Konzepte beim VDA soeben eingereicht haben.
Der Berliner Senat betont die weitverzweigte Hochschul- und Forschungslandschaft in der Hauptstadt. „Neue Mobilität ist undenkbar ohne Wissenschaft“, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD). Auch die Nähe zum politischen Zentrum der Republik könnte für Berlin sprechen. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass hier die zu erwartenden Proteste am stärksten ausfallen werden.
Auch Frankfurt, jahrzehntelang quasi synonym für die IAA, bewirbt sich. Die Stadt betont, dass sie gleich in mehrfacher Hinsicht einen Verkehrsknotenpunkt darstellt: mit dem Flughafen, dem Bahnhof, dem Internet und dem Autobahnkreuz. Die vielen Pendler aus dem Rhein-Main-Gebiet, die fast einen Dauerstau verursachen und zu Messezeiten den Autoverkehr vollends lahmlegen, will Frankfurt zu seinem Vorteil machen: „Wir gehen mit der IAA dorthin, wo die Menschen bereits sind“, erklärte Wirtschaftsdezernent Markus Frank (CDU).
Hamburg verweist auf die rund einhundert Mobilitätsprojekte, die im Zuge des Weltkongresses für Intelligente Transportsysteme (ITS) im Oktober 2021 bereits angeschoben wurden, darunter Sharing-Dienste, autonomes Fahren im ÖPNV und Vernetzung von Auto und Infrastruktur. „Wir werden ein Reallabor für digitale Mobilität bekommen“, verspricht Hamburgs Messechef Bernd Aufderheide. Als Testgelände bietet die Stadt das Heiligengeistfeld an, wo alle drei Monate ein großer Jahrmarkt stattfindet und auf dem sich das Fußballstadion des Kiezklubs FC St. Pauli befindet.
Entscheidung fällt voraussichtlich im März
Hannover wirbt damit, bereits die Nutzfahrzeug-IAA auszurichten und mit dem ehemaligen Expo-Gelände über eine große Messe mit viel Freifläche zu verfügen, die zudem mit einem 5G-Netz ausgestattet ist. Auf umliegenden Autobahnabschnitten ist autonomes Fahren möglich.
Köln will die IAA zur „Gamescom der Mobilität“ machen, wie Messe-Geschäftsführer Gerald Böse mit Blick auf die jährlich in der Domstadt ausgerichtete Online-Spiele-Ausstellung erklärte. Die Rheinländer wollen die IAA zu einem „emotionalen Event“ machen und alle Facetten der Mobilität beleuchten, einschließlich der ökonomischen und ökologischen.
Stuttgart nimmt für sich in Anspruch „die Heimatstadt der Mobilität“ zu sein – trotz Bahnhofs-Dauerbaustelle, Staus ohne Ende und Fahrverboten. Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) will die Nachhaltigkeit ins Zentrum stellen. Er verweist auf das dichteste Ladesäulennetz der Republik und auf Überlegungen zum Einsatz einer Seilbahn im ÖPNV.
München betont sein modern ausgestattetes Messegelände und den Flughafen. Bayern sei Standort vieler Unternehmen der Automobil-, Technologie- und Internetkonzerne, unterstrich Messechef Klaus Dittrich.
Bis Ende Januar will der VDA unter Beteiligung einiger namentlich nicht genannter Autohersteller eine Vorauswahl aus den Kandidatenstädten treffen, die endgültige Entscheidung um den IAA-Austragungsort 2021 soll in den nächsten Monaten fallen, voraussichtlich im März. Die Präsentationen der Städte und die weiteren Verhandlungen werden hinter verschlossenen Türen erfolgen.
Olaf Walther (kb)
Foto: VDA