13. Februar 2019, Stuttgart. Veranstaltung des VdM Südwest im VfB-Restaurant zum Thema Elektromobilität.
Ulrich W. Schiefer, promovierter Ingenieur, seit sechs Jahren VdM-Mitglied, ist im Brotberuf Geschäftsführer der AtTrack GmbH, die sich mit der Entwicklung innovativer Automobile und deren Antrieben beschäftigt. Vor Gründung der eigenen Firma war er bei fünf Automobilherstellern in leitender Position tätig und hat dadurch umfangreiche Branchenkenntnisse.
Vor vier Jahren hielt Schiefer einen vieldiskutierten Vortrag über das „Quo vadis Elektromobilität?“ beim Februarstammtisch des VdM-Südwest. Dieses Jahr – ebenfalls beim Februarstammtisch – griff er seine damaligen Aussagen auf, beleuchtete kritisch, ob und was kam, wie vorhergesagt. An der Veranstaltung nahmen 23 Personen teil. Danach stand Dr. Schiefer dem Motorjournalist zu einem Interview zur Verfügung
?: Herr Dr. Schiefer, wie stehen Sie zu den aufgeladenen Dieselmotoren?
!: Für mit hoher Dauerlast und relativ konstanter Drehzahl laufende Lkw-Diesel ist das aktuell der Königsweg mit dem höchsten Wirkungsgrad. Für den kleinen Pkw-Motor – speziell im urbanen Bereich – ist er ein Anachronismus, weil mit viel Aufwand mehr Wellenleistung durch mehr Verbrennung also auch Abgas erzeugt wird. Wenn statt des Turbos dem Verbrenner ein E-Motor zur Seite gestellt wird (Hybridantrieb) wird mit extrem hoher Effizienz die Bremsenergie zu Strom statt zu Bremsstaub. Kurz und knapp: raus mit dem Turbo und rein mit dem E-Motor zur Antriebsunterstützung.
?: Also man spart mit dem Hybrid Bremsbeläge und zur Strafe ist dann die Batterie voll.
!: Strafe ist anders! Fragen Sie doch mal einen Prius-Taxi-Fahrer. Da gibt’s Fahrzeuge, bei denen man dank Rekuperation erst nach 300.000 km die Bremsbeläge wechseln muss. Und die volle Batterie? Was Besseres kann ihnen nicht passieren, einfach weil elektrische Energie die wertvollste im Auto und zu Hause ist. Versuchen sie doch mal Ihre Lenkung mit Benzin anzutreiben oder Ihr Fenster und den Sitz zu verstellen. Und wenn Sie ein Schläuchlein Benzin vom Tank abzapfen, um Licht zu machen – da brennt allenfalls die ganze Chaise, bevor Sie‘s Fernlicht einschalten können.
?: Welche Konsequenzen hat der Turbo für die Lebensdauer?
!: Der Grundmotor wird angesichts höherer Zünddrücke signifikant belastet und es kommt bei durchaus moderaten Laufleistungen zu Motorschäden. Klopfneigung kann zu Löchern in Kolben führen, ganz zu schweigen vom Turbo selbst, ein nach Kosten vierstelliges Teil im Auto ist, das hohes Defektpotential hat.
?: Welche Alternativen sehen Sie für den Normalverbraucher?
!: Lieber einen Vollhybrid ohne Turbo als einen aufgeladenen Verbrenner, gleich ob Benziner oder Diesel. Und wenn ich‘s für die Stadt brauche, ein E-Auto vom Schlage eines Smart oder Zoe.
?: Sind Sie gegen Rennmotoren?
!: Nein gar nicht – oft waren sie technische Schrittmacher für innovative Straßenantriebe. Mit 1.500 PS aus 1,5 l Hubraum habe ich vom BMW Formel-1-Turbomotor vor 30 Jahren gelernt für mein gesamtes Berufsleben. Deshalb kann ich auch mit eigener Erfahrung sagen, dass die kleinen hochaufgeladenen Downsizing-Motoren in fast jeder Hinsicht für den Fahrzeugbetreiber von Nachteil sind. Nur zwei Gründe will ich nennen: die Drangabe der Haltbarkeit, die Pannenstatistiken lassen mit steigenden Grundmotorschäden grüßen. Schlimmer finde ich aber, dass die Hersteller ignorieren, dass diese hochaufgeladenen Motoren die Leistungscharakteristik eines Rennmotors haben. Der Antrieb macht Lust das Leistungspotential zu nutzen mit dem Ergebnis hohen Verbrauchs, hoher Emissionen und hohen Reifenverschleißes ohne Nutzen für sich und andere zu schaffen, weil die nächste Ampel ja schon zu sehen ist.
?: Darf man als Autofahrer keinen Spaß mehr haben?
!: Doch selbstverständlich – im Gegenteil mehr davon! Aber alles an seinem Platz: Rennsport in Hockenheim und am Nürburgring, vielleicht sogar selbst am Steuer beim Public Day. Sportliche Dynamik darf man gern mal auf einer leeren, übersichtlichen Landstraße bei wenig Verkehr ausprobieren; aber keinesfalls in der Stadt. Dort entsteht der Spaß über clevere Navigationssysteme, die einen schneller durch die Stauhochburgen bringen als die eigene Erfahrung das je könnte. Nicht eine Sekunde schneller von 0 auf 60 km/h beschleunigen, sondern durch clevere Navigation 10 Minuten früher am Ziel ankommen: Das ist der neue Wettbewerbsgedanke.
?: Und wie schätzen Sie die Chancen der Elektromobilität ein?
!: Riesig, weil alternativlos, aber nicht der E-Motor als Sieger über den Verbrenner, sondern als sein Retter in eine längere Zukunft via Hybrid. Er tritt für alle Schwächen des mittlerweile in die Jahre gekommenen Verbrenners ein, hilft Abgas zu reduzieren, sorgt mit seiner Kraft dafür, dass der Verbrenner eine höhere Lebensdauer hat. Und der Hybridantrieb schafft der deutschen Autoindustrie noch Luft, ihr noch unterentwickeltes Knowhow bei Batterie- und Brennstoffzellen-Technik aufzufüllen.
?: Wie schätzen Sie die Chancen von alternativen Kraftstoffen ein?
!:Schlecht – weil überragende technische Eigenschaften auf mächtige Gegenspieler treffen.
?: Meinen Sie dabei auch Wasserstoff?
!: Nein, eher nicht. Aus meiner Sicht hat Wasserstoff eine große Zukunft, weil er die aus heutiger Sicht praktikabelste Lösung bietet, mit dem Elektrolyseur Strom in H2 und mit der Brennstoffzelle H2 in Strom zu wandeln. Doch hier sprechen wir von ganz neuen Herausforderungen. Denn dabei geht es nicht darum, andere Flüssigkeit in ein vorhandenes Distributionsnetz hineinzugeben, sondern es braucht es eine komplett neue Infrastruktur und deshalb viel Geld sowie die Interaktion mehrerer er Industriezweige und des Staates….
?: …um letztendlich den Verbrenner durch den Brennstoffzellen-Antrieb zu ersetzen?
!: Das ist durchaus realistisch und würde auch in Zukunft viele Menschen beschäftigen (hoffentlich auch hier bei uns in Europa/Deutschland) mit durchaus schon heute beherrschter und gelernter Technik. So zum Beispiel bei der Luftansaugung und der Vermengung mit dem Wasserstoff. Also manches ist gar nicht so viel anders als beim Verbrenner – zumindest bis zum Verbrennungsprozess selbst.
?: Herr Schiefer, wir bedanken uns für das Gespräch
Die Fragen für den Motorjournalist stellte Gottfried Weitbrecht.