//Radikal bunt: ams-Kongress 2018 zur Mobilität der Zukunft

Radikal bunt: ams-Kongress 2018 zur Mobilität der Zukunft

Es bleibt kein Stein auf dem anderen, denn die Mobilität von morgen wird kaum mehr mit der von heute etwas zu tun haben. Dabei geht es nicht allein um neue Antriebe. Vielmehr lauten die Schlüsselthemen: künstliche Intelligenz und der Besitz von Software, Robo- und Flugtaxis oder auch smart Cities. Der jüngste ams-Kongress zur Mobilität der Zukunft in Stuttgart machte deutlich: Die Autowelt wird radikal bunt.

Bereits heute verbringt der Mensch rund 38.000 Stunden seines Lebens im Auto. Doch auch künftig wird das Automobil respektive die Mobilität einen wichtigen Stellenwert im Leben eines Menschen haben, so das Fazit der hochkarätigen Redner des jüngsten ams-Kongresses in Stuttgart. Vor allem aber werden exklusive Fahrzeuge unverändert eine große Faszination ausüben. Davon jedenfalls ist Porsche Vorstandsvorsitzender Oliver Blume mit Blick auf das eigene Haus fest überzeugt. So lautet eine wichtige Vision des Sportwagenherstellers, dass Porsche auch künftig die weltweit erfolgreichste Marke für eine sportliche und exklusive Mobilität bleiben wird. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wird der Sportwagenbauer sein Investitionsvolumen in den kommenden fünf Jahren von drei auf ganze sechs Milliarden Euro verdoppeln. Subsummiert ist darin auch eines der größten Arbeitsfelder von Porsche: die Produktion des in zwei Jahren auf dem Markt kommenden Elektro-Porsche Mission E, der in Zuffenhausen gebaut wird und durch den 1.200 weitere Arbeitsplätze geschaffen werden. Doch nicht nur die Produkte sind für Porsche wichtig. Zur Mobilität der Zukunft zählen für die Zuffenhausener auch die Schaffung geeigneter Ladeinfrastrukturen, Carsharing-Angebote, wie das Pilotprojekt Passport in den USA, oder Angebote zum autonomen Fahren.

Dass der Weg in die neue Autowelt nicht einfach ist, verdeutlichte Professor Günther Schuh, CEO der e.Go Mobile AG und Direktor des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen, der seinerzeit mit der Entwicklung des StreetScooter erstmals für Furore gesorgt hatte. In seinem Vortrag „Bezahlbare Elektromobilität“ hob Schuh hervor, dass rein batteriegetriebene Elektroautos niemals gleichzeitig wirtschaftlich weit und schnell fahren können werden, weder in fünf noch in zehn Jahren. Für Schuh ist alles andere eine fundamentale Fehlannahme. Als Lösungen für die Stadt empfiehlt Schuh erstens eine bezahlbare individuelle Elektromobilität, beispielsweise mit dem e.Go Life mit einem Preis unter 15.000 Euro, zweitens ein universaltaugliches Auto, wie den aus einem Joint Venture mit ZF hervorgegangenen e.Go People Moover, und drittens Parkhäuser für Autos mit Verbrennungsmotoren am Stadtrand. Das Antriebskonzept der Zukunft in der Fläche sind für den Aachener Professor ganz klar Plug-in-Hybridmodelle. So rechnet Schuh damit, dass 2025 bereits 70 Prozent der Modelle Hybride sein werden. Das Thema „Urbane Mobilität – die Ruhe vor dem Sturm oder ist die Welle bereits in Bewegung?“ beleuchtete auch Prof. Peter Gutzmer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Vorstand Technologie Schaeffler, in einem spannenden Talk mit Prof. Wilhelm Bauer, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts Stuttgart.

„Neue Wege der Zusammenarbeit in disruptiven Zeiten“ war das Thema von Oliver Briemle von ZF und Xing Yuan von Automotive Services of Baidu Intelligent Vehicles. So sind für ZF angesichts der Herausforderungen der Zukunft neue Partnerschaften und die Vernetzung mit anderen Branchen von existenzieller Bedeutung. Mit dem namhaften chinesischen Suchmaschinenbetreiber Baidu beispielsweise arbeitet ZF eng auf dem Gebiet des autonomen Fahrens zusammen. Insgesamt unterstützt ZF über die Zusammenarbeit mit anderen Partnern auch neue Mobilitätskonzepte.

Der britische Gegenwartskünstler und Cyborg-Aktivist Neil Harbisson

Für Aufsehen beim ams-Kongress sorgte der in Katalonien aufgewachsene britische Gegenwartskünstler und Cyborg-Aktivist Neil Harbisson, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine. So hat sich Harbisson eine Antenne in die Schädeldecke implantieren lassen, um mittels akustischer Schwingungen sichtbare und unsichtbare Farben wahrzunehmen. Seine Antenne empfängt neben Infrarot und Ultraviolett auch Farben aus dem Weltraum sowie Bilder, Videos, Musik oder Telefonate, die über eine Internetverbindung direkt in seinen Kopf geleitet werden.

 

Angst vor dem digitalen Wandel ist nach Ansicht von Jörg Reinländer fehl am Platz. In seinem Referat „Digitale Mobilität gestalten“ verdeutlichte das Vorstandsmitglied der HUK-COBURG vielmehr, dass das Thema Datasharing ganz klar Vorteile für alle hat. Bereits zum dritten Mal verlieh übrigens die HUK-COBURG gemeinsam mit ams während des Kongresses wieder ihren Verkehrssicherheitspreis. Dieser ging in diesem Jahr an die bundesweite Verkehrssicherheitskampagne „BE SMART! Hände ans Steuer – Augen auf die Straße“, die von Mobil in Deutschland initiiert und unter anderem vom drittgrößten Automobilclub KRAFTFAHRER-SCHUTZ e.V. (KS) unterstützt wurde.

„Künstliche Intelligenz (KI) – Renditejob für die Autoindustrie“ lautete der Vortrag von Andreas Tschiesner von McKinsey. Danach werde das KI-Wertepotenzial mittelfristig immerhin 200 Milliarden US-Dollar betragen – eine jährliche Produktivitätssteigerung in der Autoindustrie von 1,3 Prozent.

Ola Källenius, Daimler Vorstandsmitglied

In seinem facettenreichen Vortrag thematisierte Ola Källenius, Daimler Vorstandsmitglied, anschließend die sich wandelnden Kundenanforderungen und die damit für den Autokonzern verbundenen IT-Strategien oder auch das Quantencomputing. Eminent wichtig für sämtliche Entwicklungen ist es Källenius zufolge immer, dass die Software stets dem Hersteller, sprich Daimler, gehöre. Sie sei das zentrale Nervensystem, über das die gesamte Kommunikation laufe. 

 

Wie knapper Verkehrsraum künftiger Megacities mit einem autonomen Lufttaxi auf Knopfdruck in die dritte Dimension erweitert werde und dabei noch Geld gespart werden kann, erläuterte Alexander Zosel, Co-Founder Volocopter. Über Wege, mit Schnelllade-Infrastruktur und digitalen Lösungen elektrisches Fahren alltagstauglich zu machen, referierte Timo Sillober von EnBW. Zum Nachdenken regten auch die Referate von Annette Bronder, Geschäftsführerin Digital Divisions & Telekom Security, T-Systems, zum Thema „Ist das Auto bald weniger wert als seine Daten? Wie digitale Geschäftsmodelle die Mobilitätsbranche umkrempeln und worauf es ankommt“ und Dr. Thomas Sauter Servaes von der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) über „Die große Nullnummer – Effizienzillusion einer digitalisierten Mobilität“ an. Den Abschluss der Veranstaltung bildete schließlich der Branchentalk mit Tom Kirschbaum, Geschäftsführer des Mobilitäts-Start-ups door2door, und ams-Chefredakteurin Birgit Priemer. Insgesamt wurde nochmals allen klar: Der Wandel der Mobilität ist Fakt und die Möglichkeiten zahlreich. Doch nur, wenn es gelingt, diese radikal bunte neue Welt intelligent zu gestalten, kann der von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erhoffte Fortschritt erzielt werden.

Text und Fotos: Isabella Finsterwalder