Ein Crashtest war der Höhepunkt eines Besuchs von Kollegen aus dem VdM-Regionalkreis Südwest im Technologiezentrum Fahrzeugsicherheit (TFS) von Mercedes-Benz in Sindelfingen.
Es dauert nur wenige Sekunden, dann hat das Seilzugsystem die mattorange lackierte Mercedes S-Klasse auf 64 km/h beschleunigt. Kurz darauf kracht die schwere Limousine mit ihren über zwei Tonnen Prüfgewicht wie geplant mit 40 Prozent Überdeckung auf den Crashblock. Eine vor dem massiven Betonblock montierte Alu-Wabenstruktur mit definierter Nachgiebigkeit simuliert ein kleineres Fahrzeug mit geringerer Masse. Der Vorderwagen der S-Klasse ist schwer beschädigt, aber die Fahrgastzelle ist intakt, die Türen lassen sich problemlos öffnen. Die Dummys im Innern wurden von den Airbags und den Gurten aufgefangen und haben den brachialen Aufprall überstanden.
Der Crash-Test war Höhepunkt des Besuchs von Mitgliedern des VdM-Regionalkreises Südwest Mitte Januar im neuen Technologiezentrum Fahrzeugsicherheit (TFS) von Mercedes-Benz in Sindelfingen. Professor Dr.-Ing. Rodolfo Schöneburg, Leiter Fahrzeugsicherheit Mercedes-Benz Cars und VdM-Dieselringträger des Jahres 2013 hatte die VdM-Kolleginnen und -Kollegen eingeladen. Seit November 2016 ist das TFS in Betrieb.
„Mit den Testmöglichkeiten im neuen TFS decken wir nicht nur heutige Gesetzes- und Ratinganforderungen ab, sondern sind auch für die Zukunft gerüstet“, sagte Professor Schöneburg. „Das gilt einerseits für zukünftige Crashtest-Konfigurationen und andererseits für neue Fahrzeuge beispielsweise mit alternativen Antrieben oder mit neuartigen Assistenzsystemen. Auch was in der Vorunfallphase abläuft, können wir genauestens analysieren und so unsere PRE-SAFE®- und Assistenzsysteme noch leistungsfähiger machen.“ Einen „dreistelligen Millionenbetrag“ hat Daimler dafür investiert.
Vor allem die Crashhalle, in der die VdM-Mitglieder den Crash-Test live erleben konnten, ist gewaltig. Der stützenfrei überdachte Teil der Crashhalle ist mit 90 Metern mal 90 Metern deutlich größer als die Fläche eines Fußballplatzes. Die längste Crashbahn misst über 200 m. Insgesamt sind fünf Crashblöcke vorhanden, wovon einer im Raum flexibel verfahrbar und ein weiterer um die Hochachse drehbar ist. Diese beiden Crashblöcke sind für den effizienten Betrieb an jeder der vier Seiten mit einer anderen Barriere vorkonfiguriert. Hochgeschwindigkeitskameras liefern bis zu 1.000 Bilder pro Sekunde und dokumentieren die Crashs von allen Seiten – aus Filmgruben mit Glasabdeckung auch von unten. Zusammen mit unzähligen Messdaten am Fahrzeug und in den Dummys liefern die Filme ein umfassendes Bild des Crash-Versuchs für die anschließende Analyse. Insgesamt sind rund 70 Crash-Test-Konfigurationen möglich. Zusammen mit einem mobilen Trennwandsystem ermöglicht die Anlage den gleichzeitigen und unabhängigen Betrieb von bis zu vier Crashbahnen. Rund 900 Crashtests können so pro Jahr durchgeführt werden. Hinzu kommen etwa 1.700 Schlittenversuche.
„Die alte Crashbahn hat rund 40 Jahre gehalten – das Ziel war, eine ebenso lang nutzbare zu bauen“, berichtete Professor Norbert Schaub, Leiter Versuch Passive Sicherheit, Fahrzeugfunktionen und Gesamtprojektleitung TFS. Für den Bau der Anlage sei kein Generalunternehmer beauftragt worden. Vielmehr wurde alles mit eigenen Leuten – trotz der dadurch entstandenen Doppelbelastung – durchgeführt. „Das Ergebnis entspricht unserem Motto: Das Beste – oder nichts. Derzeit haben wir die beste und modernste Anlage weltweit.“ Im Vorfeld hatte Professor Schaub alle relevanten Crashanlagen auch bei Wettbewerbern besucht, „um sich einen umfangreichen Überblick zu verschaffen und so sämtliche Optimierungsmöglichkeiten bei der neuen Crashhalle zu berücksichtigen.“
Für die Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells bis zur Serienreife werden etwa 15.000 wirklichkeitsgetreue Crashtest-Simulationen durchgeführt, erfuhren die VdM-Mitglieder. Hinzu kommen je nach Baureihe über 150 Crashtests. Dazu zählen außer den über 40 verschiedenen Aufprallkonfigurationen, die für Ratings und die weltweite Zulassung eines Fahrzeugs vorgesehen sind, auch besonders anspruchsvolle, interne Crashversuche, die das Unternehmen ergänzend durchführt.
Auf insgesamt rund 55.000 Quadratmeter Nutzfläche sind im Technologiezentrum Fahrzeugsicherheit neben der großen Crashhalle alle Einrichtungen zusammengefasst, die für die Unfallsimulation und die Auswertung der Crash-Tests benötigt werden. Für die Besucher aus dem VdM-Regionalkreis Südwest ging es zum Abschluss noch ins Dummylabor. Rund 120 Crashtest-Dummys stehen im TFS zur Verfügung. Per Aufzug werden die teilweise mehrere hunderttausend Euro teuren Versuchspuppen aus dem Lagerraum in das exakt temperierte Dummylabor gebracht, wo sie für die Crashtests vorbereitet werden. Mit dem neuen TFS stellt Mercedes-Benz auf die digitale In-Dummy-Messtechnik um. Der Vorteil: Die dicken Kabelbündel werden durch eine viel kompaktere Datenleitung ersetzt.
Viel Aufwand, den Mercedes für die Verbesserung der aktiven und der passiven Sicherheit seiner Fahrzeuge betreibt. „Sicherheit ist kein Job, Sicherheit ist eine Passion“, brachte Matthias Struck, verantwortlich für die Kommunikation Fahrzeugsicherheit, das Engagement auf den Punkt. „Wir wollen die Passion für Sicherheit in die Welt tragen.“
fps/so