/Fachtagung der Dieselringträger 2017

Fachtagung der Dieselringträger 2017

Der Termin hat eine lange Tradition: Am vorletzten Oktoberwochenende trafen sich die VdM-Dieselringträger in Berlin zur ihrer jährlichen Fachtagung, die der Verband der Motorjournalisten gemeinsam mit der Unfallforschung der Versicherer (UDV) veranstaltet. In diesem Jahr stand das Treffen der Verkehrssicherheits-Experten unter dem Oberthema „Autonomes Fahren zwischen Sicherheit, Recht und Ethik?“

Ebenfalls zur Tradition gehört, dass der Dieselringträger des Jahres das Eröffnungsreferat hält. Da aber bei der Fachtagung im letzten Jahr der Dieselringträger des Jahres 2016, Dr. Walter Eichendorf, erkrankt war, gab es in diesem Jahr gleich zwei Referate der aktuellen Dieselringträger. Der Präsident des deutschen Verkehrssicherheitsrates Dr. Walter Eichendorf referierte zum Thema „Wie entscheiden Autos zwischen Leben und Tod? Ethische Fragen im Kontext des automatisierten Fahrens“. Der Dieselringträger 2017, Sven Ennerst, Leiter Produktentwicklung bei Daimler Trucks, berichtete über aktuelle Entwicklungen in der Verkehrssicherheitstechnik

Der DVR treibt beschäftigt sich nicht nur mit dem Straßenverkehr
Bevor Dr. Eichendorf in sein eigentliches Thema einstieg, machte er deutlich, dass sich der DVR um alle Arten von Verkehrssicherheit. Derzeit treibe den DVR beispielsweise das Thema „Fume Events“ im Flugverkehr um. Immer wieder dringen in die Kabinen von Passagier- und Frachtflugzeugen gefährliche Dämpfe über die Klimaanlage ein. Die Klimaanlagen zapfen angewärmte Luft in der Nähe der Triebwerke an. Vermutet wird, dass es durch undichte Dichtungen zu der Kontamination der Luft kommt. Auch „Die Zeit“ hatte gerade (19. Oktober 2017) berichtet, dass der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung allein im vergangenen Jahr 228 Fume Events gemeldet worden seien, von denen 61 toxisch gewesen sein könnten. In einzelnen Fällen wurde von Piloten berichtet, die nur durch rechtzeitiges Aufsetzen der Sauerstoffmasken verhindert hatten, dass sie ohnmächtig wurden. Auch im Blut der Flugbegleiter ließen sich Substanzen feststellen, die von kontaminierter Kabinenluft stammten. Der DVR hat deshalb nun mit Arbeitsmedizinern eine Aktion gestartet, bei der sich Piloten und Flugbegleiter, wenn sie einen Fume Event bemerken, gleich nach der Landung am Flughafen untersuchen lassen können. So soll festgestellt werden, wie gefährlich diese Fume Events tatsächlich sind.

Die See-Schifffahrt nannte Dr. Eichendorf als weiteres Beispiel für aktuelle DVR-Aktivitäten. Hier sei es nach drei Jahren Arbeit endlich gelungen, die 25 Jahre alte Unfallverhütungsvorschrift grundlegend zu überarbeiten und zu verabschieden.

Spannend waren dann auch seine Ausführungen zu den ethischen Fragen im Zusammenhang mit dem automatisierten Fahren: „Jetzt können wir die Regeln für das automatisierte Fahren noch beeinflussen, in vier Jahren ist es da.“ Der DVR führe deshalb Gespräche mit allen Automobilherstellern und den Zulieferern, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, um den Prozess aus Sicht der Verkehrssicherheit zu begleiten und Leitplanken zu setzen. „Mehr als 90 Prozent der Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen“, sagte Dr. Eichendorf. Beim Notbremsassistenten sieht jeder, dass er zu weniger Auffahrunfällen führt. Für das automatisierte Fahren gebe es noch keine Belege, dass es Unfälle reduziert.

Problem Mischverkehr
Ein großes Problem sei der Mischverkehr aus herkömmlichen und automatisierten Fahrzeugen. Den wird es bei uns noch lange geben. Zudem steht die Entwicklung erst am Anfang. Der neue Audi A8 ist ein erstes Beispiel für ein Fahrzeug, dass die Stufe 3 hochautomatisiertes Fahren erreicht hat – allerdings noch im Testbetrieb und bis maximal 60 km/h. Auch die Post will mit ihrem StreetScooter automatisiertes Fahren testen. Das Fahrzeug soll künftig im Zustellbereich eigenständig vor dem Fahrer herfahren und an jeder Lieferadresse stoppen, wo der Fahrer dann das Paket entnimmt und ausliefert. Daneben gibt es mehrere Testfelder in Deutschland, wie die A9 in Bayern oder auch Autobahnen und Landstraßen in Niedersachen, auf denen die Hersteller automatisiertes Fahren testen. „Viele Details sind noch nicht angelegt und müssen auch im Gesetz noch geregelt werden.“

Übergabenzeiten sind zu kurz
„Ablenkung am Steuer, etwa durch das Handy, ist heute ein dramatisches Problem“, sagte Dr. Eichendorf. „Bei Automatisierungs-Stufe 3 ist es erlaubt, mit dem Handy zu telefonieren, E-Mails zu checken oder zu spielen.“ Das Problem hier sei die Übergabezeit die erforderlich ist, bis der Fahrer, der gerade auf eine ärgerliche E-Mail reagiert oder einen spannenden Film schaut, wieder voll konzentriert das Steuer übernimmt. „Das Übergabe-Szenario macht uns die größten Sorgen.“ Im Simulator habe er erlebt, dass Übergabezeiten unter zehn Sekunden völlig abwegig seien. Wichtig seien hierfür auch entsprechende ECE Regelungen auf europäischer Ebene.

Wie reagiert das automatisierte Fahrzeug, wenn ein Unfall unvermeidlich ist? fragte Dr. Eichendorf. „Der Techniker muss programmieren, was dann geschieht.“ Beim Notbremsassistenten bleibt das Fahrzeug in der Spur, fährt auf das Fahrzeug voraus auf, auch wenn vielleicht die Spur daneben frei ist. Noch ist die Technik nicht so weit, Alternativen einzubeziehen. Dr. Eichendorf forderte eine gesellschaftliche Debatte in Gang zu setzen, die Möglichkeiten, aber auch die Risiken des automatisierten und autonomen Fahrens erläutert und diskutiert.

Und wie steht es um die Ausfallsicherheit der Systeme, wurde in der anschließenden Diskussion gefragt. Spätestens in Stufe 4 und 5 haftet der Hersteller. Daher sei es in deren Interesse, die Systeme mit Redundanzen und Not-Stopps so abzusichern, dass nichts passieren kann. Aber werden alle Hersteller weltweit so sorgfältig arbeiten wie die deutschen Premium-Hersteller?

Simulatorstudien der Unfallforschung der Versicherer
Anschließend informierte Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung der Versicherer (UDV), über neue Erkenntnisse aus der Unfallforschung. Er berichtete über Simulatorstudien, in denen die Übernahmezeiten untersucht wurden, die ein Fahrer nach einer Phase automatisierten Fahrens benötigt, bis er das Steuer wieder voll konzentriert selbst übernimmt und unterstrich Aussagen, die auch Dr. Eichendorf getroffen hatte. „Im Flugzeug ist der Autopilot lange Praxis. Im Vergleich zum Straßenverkehr ist der Luftverkehr aber auch extrem trivial,“ sagte Brockmann. Im Fahrsimulator der TU Braunschweig hat die UDV deshalb unterschiedliche Verkehrssituationen mit Testpersonen durchgespielt. Bei heftigem Regen ließen die Forscher ausgeruhte Fahrer automatisiert durch eine Baustelle fahren. Ohne Ablenkung konnten die Fahrer auf Aufforderung problemlos und schnell das Steuer wieder übernehmen. Anders bei Fahrern, die währen der automatisierten Fahrt auf ihrem Tablet spielten. „Die mussten zunächst mal ihr Tablet zur Seite legen!“ Nach drei bis vier Sekunden blickten sie erstmals wieder auf die Straße, nach sechs bis sieben Sekunden hatten sie die Hände am Lenkrad. Weitere ein bis zwei Sekunden dauerte es, bis sie das automatisierte System abgeschaltet hatten. Erst nach zehn bis zwölf Sekunden hatte sie wieder die volle Kontrolle. Deutlich länger waren die Übernahmezeiten, wenn zuvor über einen längeren Zeitraum (15 Minuten) automatisiert gefahren worden war oder wenn die Fahrer ermüdet waren.

Brockmann bestätigte, über 90 Prozent der Unfälle werden durch den Fahrer verursacht. „Aber ein Autofahrer braucht im Schnitt 216 Jahre oder drei Millionen Kilometer, bis er einen Unfall mit Personenschaden verursacht.“ Das müsse die Technik erstmal schaffen. „Assistenzsysteme helfen dem Fahrer, die Technik überwacht den Menschen. Wenn der Mensch Fehler macht, greift die Technik ein“, erklärte Brockmann. „Beim automatisierten Fahren aber wird das Kontrollsystem umgedreht. Die Maschine agiert und der Mensch soll rechtzeitig reagieren, wenn die Maschine nicht mehr kann. Das kann der Mensch nicht!“

Auch das Problem Mischverkehr brachte der UDV-Leiter nochmal auf den Punkt: Bei dem hohen Durchschnittsalter, das unsere Fahrzeuge auf der Straße erreichen, werde es bis 2040 dauern bis allein alle Autos mit Notbremsassistenten ausgerüstet sind. Umso länger werden nicht automatisierte Fahrzeuge unterwegs sein. Viele Fragen seien zudem noch ungelöst, die Technik noch lange nicht so weit, wie es manchmal scheine. So reden die Autohersteller nur davon, wie ihre Fahrzeuge automatisiert auf Autobahnen unterwegs sind, weil sie alles andere noch nicht können.

Aktuelle Systeme im Fahrzeug wissen überdies noch nicht, was um sie herum geschieht. Es fehlt die Car-to-Car-Kommunikation genauso wie die Car-to-Infrastruktur-Kommunikation. Viel Arbeit also noch für Ingenieure und Entwickler.

Sicherheit und Wirtschaftlichkeit im Lkw
Der Dieselringträger 2017, Sven Ennerst, hatte sein Referat überschrieben „Sicherheit – gestern, heute und morgen“. Im Nutzfahrzeugbereich stehen für die Nutzer bei allen Entscheidungen, Geld für neue Technik auszugeben, immer die Total Cost of Ownership – TCO im Vordergrund. Etwa ein Drittel der Kosten macht der Kaufpreis aus, ein weiteres Drittel entfällt derzeit auf den Fahrer und ein weiteres Drittel auf alles andere, unter anderem den Verbrauch. Mit einer Plattformstrategie über alle Nutzfahrzeugmarken des Konzerns in Europa, USA, Russland und den Joint Ventures in Indien und China sei es Daimler gelungen, die Verbräuche und damit die CO2-Emmissionen zu senken. Nächste Schritte seien nun Zero-Emission Fahrzeuge, insbesondere für den Lieferverkehr in der Stadt. Da Lkw immer Teil der Lieferkette sind, ist daneben die Connectivity ein großes Thema. Jeder Lkw werden daher künftig über eine Übertragungs-Box verbunden sein.

Nicht zuletzt sei die Verkehrssicherheit insbesondere schwerer Lkw ein zentrales Entwicklungsthema. „Dabei ist die aktive Sicherheit wichtig, nicht nur die passive“, sagte Ennerst. „Ziel muss es sein, Unfälle zu verhindern.“ Welch hohe kinetische Energie ein schwerer Lkw hat, machte er an einem Vergleich deutlich. Danach hat ein 40-Tonnen Lkw mit 80 km/h so viel Energie wie ein 1,6 Tonnen schwerer Pkw, der mit 400 km/h unterwegs ist. Trotz vieler Berichte über spektakuläre Lkw-Unfälle sei aber auch schon viel erreicht worden. So sei die Zahl der Lkw-Unfälle mit tödlichem Ausgang zwischen 1992 und 2015 um 60 Prozent gesunken, obwohl im gleichen Zeitraum das Transportvolumen der Lkw um 90 Prozent gestiegen ist.

Abbiegeassistent schützt die schwächsten Verkehrsteilnehmer
Unfallschwerpunkte liegen beim Lkw mit 39 Prozent bei Auffahrunfällen, gefolgt vom Abkommen von der Fahrbahn mit 29 Prozent, Unfälle an Kreuzungen mit 21 Prozent und Unfällen mit Fußgängern und Radfahrern mit elf Prozent. Der Aktive Bremsassistent, so die Erwartung, werde die Auffahrunfälle reduzieren oder ihre Schwere vermindern können. Die aktuelle Ausbaustufe 4, im letzten Jahr eingeführt, reagiert nun auch auf Fußgänger. Der Abbiegeassistent, für dessen Entwicklung Ennerst in diesem Jahr den Goldenen VdM-Dieselring erhalten hatte, schütze nun die schwächsten Verkehrsteilnehmer. In der Stadt sei der Fahrer eines schweren Lkw oft überfordert. Vor allem beim Abbiegen sei die Gefahr groß, Fußgänger oder Radfahrer zu übersehen. Der Abbiegeassistent warnt ihn nun mit einer Kaskade aus optischen und akustischen Signalen. „Die größte Herausforderung bei der Entwicklung war es, Fehlwarnungen etwa vor Laternen zu vermeiden.“ Als nächstes Entwicklungsfeld stehen nun die Kreuzungsunfälle auf dem Programm. Schwierigkeit hier sind die noch zu ungenauen Ortungssysteme, die den Fahrzeugstandort noch nicht richtig bestimmen.

Viele Probleme auf dem Weg zum automatisierten Fahren
Auch bei der Entwicklung zum automatisierten Fahren ist Daimler Trucks mit Testfahrzeugen in Deutschland und den USA dabei. Wenn beispielsweise zwei Lkw-Züge im Platooning elektronisch aneinandergekoppelt werden, kann ein Fahrer jeweils seine Ruhezeit einhalten und schlafen, was wiederum den TCO zugutekommt und deshalb für Fuhrparks interessant sein dürfte. Aber auch Sven Ennerst dämpfte zu hohe Erwartungen. „Auf dem Weg zum automatisierten Fahren liegen noch viele Probleme vor uns.“ Derzeit reiche die Sensorleistung und die Bilderkennung noch nicht aus. Und für hochautomatisiertes Fahren nach Level 3 sei allein für die nötigen Rechner eine Kühlleistung von zwei bis drei Kilowatt im Fahrzeug nötig.

In einer abschließenden Experten-Talkrunde, diskutierte VdM-Regionalleiter Berlin Andreas Keßler als Moderator das Thema „Autonomes Fahren zwischen Sicherheit, Recht und Ethik?“ mit den Dieselringträgern Dr. Walter Eichendorf (DVR) und Sven Ennerst (Daimler), Unfallforscher Siegfried Brockmann und dem Präsidenten des Verkehrsgerichtstages Kay Nehm.

Wem gehören die Fahrzeugdaten?
Kay Nehm sagte, dass das deutsche Straßenverkehrsrecht bereits ein gutes Korsett für das automatisierte Fahren bieten. Die Haftpflichtversicherung trete auch hier bei Schäden ein, werde dann aber wohl die Hersteller zur Kasse bitten. Für eine klare Entscheidung sei es dann nötig, Zugriff auf die Daten aus dem Fahrzeug zu haben. Wem aber gehören diese Daten. Es müssen ein spezieller Eigentumsbegriff für diese Daten entwickelt werden, forderte Nehm. Damit sei sicherzustellen, dass im Schadensfall der Zugriff auf alle unfallrelevanten Daten möglich sei. Nehm wiedersprach auch Sven Ennerst, der sagte, dass die im Lkw erzeugten Daten zunächst dem Hersteller gehören. Dem wiederspreche der Datenschutz. „Die Daten gehören zunächst dem Halter.“ Es müsse daher vertraglich geregelt werden, wer Zugriff auf die Daten bekommt.

Siegfried Brockmann wies darauf hin, dass im Fahrzeug sehr unterschiedlich Daten erzeugt werden. Daten zum Motor oder Informationen zum Verschleiß seien für den Hersteller relevant. Definiert werden müsse, welche Daten der Hersteller freigeben müsse, um einen Unfall klar ermitteln zu können. Dafür muss der Gesetzgeber die Weichen stellen, waren sich alle einig.

Der Fahrer bleibt in der Haftung
Bemängelt wurde auch, dass der Fahrer beim hochautomatisierten Fahren im Schadenfall den schwarzen Peter hat, denn er muss in kritischen Situationen immer übernehmen. Tut er das unzureichend oder zu spät, ist er in der Haftung. Hier habe sich der Gesetzgeber bislang vor der Entscheidung gedrückt zu sagen: In diesem Fall ist das Fahrzeug der Fahrer. Allerdings sind derzeit hochautomatisierte Fahrzeuge bislang nur im Testbetrieb unterwegs. Es bleibt also noch Zeit, bestehende Gesetz nachzubessern.

Auch in der Diskussion wurde das Problem der Mensch-Maschine-Schnittstelle angesprochen. Übernahmezeiten von wenigen Sekunden seinen unrealistisch und gefährlich, war sich das Podium einig. Wichtig sei es, dass automatisiert fahrende Fahrzeuge weiter vorausschauen können, um rechtzeitig vor einer kritischen Situation zu warnen. Kay Nehm, der auch in der Ethik-Kommission des Verkehrsministeriums zum automatisierten und vernetzten Fahren beteiligt war, unterstrich noch einmal, dass die Kommission keine roten Linien gezogen, sondern einen Rahmen diskutiert habe. Wenn die Erfahrungen mit dem automatisierten Fahren positiv seien, könne der Rahmen weiter gesteckt werden. „Die Schadensbilanz muss positiv sein.“

so