Die Markt- und Wettbewerbsbedingungen in der Automobilbranche sind rauer denn je und von hoher Volatilität gekennzeichnet. Nicht nur technologische Fragen rund um die Elektromobilität und die Digitalisierung bestimmen die Taktzahl in der Branche. Vielmehr sind es vor allem nationale Subventionswettläufe und Protektionismus ebenso wie geopolitische Kräfte, die die Märkte umtreiben. Unter dem Thema „The New Future of Automotive Business – tough competition and business conditions“ kam die Branche am 16. und 17. Oktober zu ihrem 25. „Klassentreffen“ anlässlich ihres diesjährigen Branchengipfels in Nürtingen zusammen.
„So wie bisher kann es nicht weitergehen. Wir müssen aus dem Quark kommen und 2025 Gas geben“, betonte Prof. Dr. Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA), bei seiner Begrüßungsrede vor rund 600 Teilnehmenden. Der Weg in eine neue Zeitrechnung wurde in den unterschiedlichsten Beiträgen der eingeladenen Referenten kritisch unter die Lupe genommen und Lösungswege anhand verschiedener Vorschläge herausgearbeitet.
Ola Källenius: Wir müssen der Dirigent des Orchesters bleiben
In seiner Keynote zum Thema „Das Auto der Zukunft – wo geht die Reise hin? Dekarbonisierung und Digitalisierung sind die großen Treiber der Veränderungen“ unterstrich Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Group AG, die Herausforderungen der „Jahrhunderttransformation“ in puncto Dekarbonisierung, Digitalisierung und generative KI, vor der die gesamte Branche in einem noch nie dagewesenen Ausmaß stehe. Dabei betonte der Mercedes-Benz Chef, dass die Verbrennertechnologie bis in die 2030er-Jahre auf Topniveau gehalten werde. So ist Källenius überzeugt, dass die Transformation der Autoindustrie länger als zunächst gedacht dauern werde und die Elektromobilität in vielen Märkte langsamer komme. Flexibilität ist für den CEO angesichts der unsicheren Rahmenbedingungen daher mehr denn je ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. Zudem verteidigte der CEO die Luxusstrategie des Hauses Mercedes-Benz.
Von 2025 bis 2028 will Mercedes-Benz die größte Modelloffensive der Geschichte starten. Große Hoffnung setzt der CEO dabei auf die nächste Generation seiner BEV mit Reichweiten von 750 Kilometern. Insgesamt bleibt es für Källenius entscheidend, bei allen Veränderungen der Dirigent des Orchesters zu bleiben, selbst wenn sich die Kompetenzprofile verändern werden. Källenius ist zudem davon überzeugt, dass Unternehmen immer die Denkpartner der Politik sein müssten. Ein Handelskonflikt beispielsweise könne für Deutschland als exportorientiertes Land nicht im Sinne der Branche sein. Wichtig seien vielmehr verbesserte Rahmenbedingungen für die Industrie.
Den im September vorgelegten Bericht von Mario Draghi, ehemaliger Präsidenten der Europäischen Zentralbank und italienischer Ministerpräsident, zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU nannte der Mercedes-Benz CEO eine ehrliche Analyse, die jetzt in die Umsetzungsphase kommen müsse. Sein Herzenswunsch dabei: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu stärken. Mercedes-Benz jedenfalls will nach den Worten Källenius weiter investieren, um Innovationen voranzutreiben und Produkte auf den Markt zu bringen, die die Kunden wollen. So hat der Stuttgarter Konzern allein in diesem Jahr 14 Milliarden Euro nur für Pkw in Forschung und Entwicklung gesteckt. Man glaube an den Standort Deutschland. „Jetzt müssen wir machen“, bringt es Ole Källenius auf den Punkt.
Verlässliche Rahmenbedingungen seitens der Politik
Die Präsidialrunde mit Arne Joswig, Präsident des Zentralverbandes Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), André Schmidt, Präsident des Verbandes der Internationalen Kraftfahrzeughersteller e.V. (VDIK), und Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie e.V. (VDA), unter Leitung von IfA Chef Reindl machte unisono deutlich, dass Protektionismus und Zölle gegen China keine Lösung sind. Wichtiger seien vielmehr verlässliche Rahmenbedingungen der Politik, so auch ZDK Präsident Joswig. VDA Präsidentin Müller forderte wiederholt von der Politik, die E-Ladestruktur hochzufahren, denn das Mittel der Wahl sei klar die E-Mobilität. Auch für VDIK Präsident Schmidt geht die Umsetzung der Ladeinfrastruktur für E-Autos viel zu langsam. Schmidt: „Wir müssen hier größer denken, über Ressorts hinaus, denn wir brauchen systemische, industrieübergreifende Lösungen.“
BMW Manager Ach zum Agentursystem: „Die Murmel muss durchlaufen“
Im Sales Forum des Branchengipfels mit den Teilnehmern Christian Ach, Leiter Markt Deutschland der BMW Group, Patrick Dinger, Managing Director Opel Deutschland, Vincent Ricoux, Managing Director Nissan Germany, und André Schmidt, diesmal in der Position des Präsidenten Toyota Deutschland GmbH, stand das Thema instabiler Marktstrukturen im Fokus. Während sich Ach klar für das Agentursystem aussprach, das jetzt in der Mini Organisation gestartet ist (O-Töne Ach: „Der Kunde findet das besser.“; „Die Murmel muss durchlaufen.“; „Wir müssen viel mehr umstellen als der Händler.“) bekennen sich Ricoux von Nissan und Schmidt von Toyota zum Handel und dem bestehenden System. Dinger von Opel bestätigt ebenfalls klar, dass der Händler nach wie vor eine starke Waffe für den Hersteller sei, ohne weiter darauf einzugehen, dass Stellantis die Einführung des Agentursystems zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben hat.
Changan: Weitere chinesische Marke rüstet sich für Deutschland und Europa
Den Nachmittag des diesjährigen Branchengipfels läutete Nic Thomas, Head of Marketing, Sales and Service der Changan Europe, ein, der sich zum europäischen und deutschen Markteintritt von Changan in „China Speed“ äußerte: „Wir sind bereit für europäische Kunden.“ Changan verfüge über tolle Produkte. Um ein Vertriebs- und Servicenetz aufzubauen, will die chinesische Marke mit lokalen Händlern zusammenarbeiten. Thomas: „Wir wollen die Händler unterstützen, aber Handel ist nicht unser Job.“ So soll das E-SUV Deepal S07 noch im vierten Quartal 2024 auf Deutschlands Straßen kommen. Bereits seit 20 Jahren verfügt die chinesische Marke, die weltweit 2,55 Millionen Fahrzeuge verkauft, über ein Designcenter in Italien; seit September ist die Changan Automobile Deutschland GmbH in München ansässig.
Ganz allgemein über neue Marken und Markteintrittsstrategien chinesischer Marken diskutierten mit Prof. Reindl neben Nic Thomas von Changan Philipp Hempel, Vice President Sales MG Motor Deutschland, Florian Otto, Director Communications Europe Nio GmbH, und Rutz Rachner, Country Manager Germany SAIC Maxus Sarl. Dabei wurde schnell klar, wie ernst es den Chinesen mit ihrer Präsenz in Deutschland ist. So verkaufte MG, die mit Abstand erfolgreichste chinesische Marke in Deutschland aus dem SAIC Konzern, nach drei Geschäftsjahren bereits 16.000 Einheiten allein im 1. Halbjahr dieses Jahres (Gesamtjahr 2023: 21.232) mit acht Modellvarianten an 148 und bald 250 Standorten. Ambitioniert zeigt sich zudem Maxus. Die ebenfalls zum chinesischen Hersteller SAIC gehörende Nutzfahrzeugmarke ist seit 2020 in Deutschland präsent und bekennt sich zur Vertriebspartnerschaft mit dem Handel. Nio dagegen hält weiter am Konzept der Nio Houses als Anlaufstelle für Interessierte fest und bleibt ohne Händlernetz.
Skoda: Ab 2027 kommt 20.000-Euro-E-Auto
Das IfA „Gewächs“ Klaus Zellmer, heute Vorstandsvorsitzender von Skoda Auto, diskutierte mit Prof. Reindl über Lösungen, um der gestiegenen Komplexität in einem volatilen Umfeld zu begegnen. So forderte auch Zellmer, ehemaliger Porsche Deutschland und Porsche Nordamerika Chef, angesichts der „unfassbaren“ Komplexität, in die man laufe, die richtigen Rahmenbedingungen seitens der Politik und einen Abbau der Bürokratie. Es gelte jetzt, mit der richtigen Flexibilität an die Kunden heranzugehen, nachdem die Streichung der Förderprämie für E-Autos ein „Killer“ gewesen sei. Mit Blick auf ein günstiges E-Auto bei Skoda nannte Zellmer das Jahr 2025 mit dem 25.000 Euro teuren Epic. Ab 2027 soll ein 20.000-Euro-E-Auto bei Skoda folgen.
Jung, wild und entschlossen für die Branche
Als ein echtes Highlight des diesjährigen Branchengipfels erwies sich das Retail Forum mit dem Titel „The Young Wild Ones“ unter Leitung von IfA Vize-Direktor Prof. Benedikt Maier. So legte der Handelsnachwuchs mit Florian Hofmann, Vorstand Wittmann & Hofmann AG, Karina Knigge, Vertriebsleiterin und Prokuristin Woltmann GmbH Co. KG, Johannes Marx, Geschäftsführer Jepsen Autogruppe, und Paul Rosier, Direktor Organisation Rosier Holding GmbH, – alle um die 30 Jahre – ein klares Bekenntnis für die Branche ab. Hofmann: „Eine megacoole Branche“, in der laut Knigge alles mit den Menschen stehe und falle. Der Vorteil des Nachwuchses, so Rosier, sei zudem, dass junge Führungskräfte unvoreingenommener agierten. Jetzt gelte es selbst auszubilden und „Handwerk zum Anfassen“ zu präsentieren, indem man in Schulen Werbung für die Branche mache oder auch Schulklassen durchs Autohaus führe, so Johannes Jepsen weiter. Unisono zeigte sich der Führungskräftenachwuchs davon überzeugt, dass sich die Handelsbetriebe als Marke und, wie Marx meinte, vor allem als Botschafter der E-Mobilität etablieren.
Insgesamt ein aufschlussreicher Branchengipfel, dem jetzt jedoch dringend mit gebündelten Kräften aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Taten folgen müssen, um die Branche wieder nach vorne zu bringen.
Autorin: Isabella Finsterwalder, Bilder: Lukas Jank und Marcel Straschek