//Koalitionsvertrag: Kein Tempolimit und mindestens 15 Millionen E-Autos ab 2030

Koalitionsvertrag: Kein Tempolimit und mindestens 15 Millionen E-Autos ab 2030

Zwei Monate nach der Bundestagswahl haben SPD, Grüne und FDP einen Koalitionsvertrag zur Bildung einer neuen Bundesregierung vorgelegt, der auf insgesamt fünfeinhalb Seiten vom Straßenverkehr handelt. Die Parteien verständigten sich außerdem darauf, dass der künftige Verkehrsminister von der FDP gestellt wird. Nominiert wurde FDP-Generalsekretär Volker Wissing, der bis Mai 2021 Wirtschafts- und Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz war. Er wäre der erste Freidemokrat an der Spitze des Bundesverkehrsministeriums.

Zu Beginn des gut 180 Seiten langen Koalitionsvertrages, der kein verbindlicher Vertrag im juristischen Sinn ist, sondern ein politisches Regierungsprogramm, wird die Welt als im Umbruch befindlich dargestellt, und zwar durch die Klimakrise, durch verschärften globalen Wettbewerb und durch den „Systemwettstreit“. Zusätzliche Herausforderungen stellten die Digitalisierung, gesellschaftliche Spannungen und ein Vertrauensverlust in die Demokratie dar. Die Antwort von SPD, Grünen und FDP ist, „die nötigen Neuerungen politisch anzuschieben“ und eine „Dynamik auszulösen, die in die gesamte Gesellschaft hineinwirkt“. Es gelte, „die soziale Marktwirtschaft als eine sozial-ökologische Marktwirtschaft neu zu begründen“. Das wollen die Koalitionäre unter „Modernisierung des Landes“ verstanden wissen. Konkreter: öffentliche Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie Anreize für private Investitionen, um Wachstum zu schaffen.

Mobilität wird im Koalitionsvertrag als „Baustein der Daseinsvorsorge, Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Logistikstandorts Deutschland mit zukunftsfesten Arbeitsplätzen“ definiert. In den weiteren Ausführungen dominieren jedoch klimapolitische und marktwirtschaftliche Aspekte. Die nächste Bundesregierung soll einen „Aufbruch in eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität“ initiieren, durch Ausbau der Infrastruktur und durch „Rahmenbedingungen für vielfältige Mobilitätsangebote in Stadt und Land“. Die großen Linien der Verkehrspolitik will man „dialogorientiert“ mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden entwerfen.

Nach der Übereinkunft der Ampel-Koalition soll „mehr in die Schiene als in die Straße“ investiert werden. Bei den Autobahnen wird es um Erhalt und Sanierung gehen, also weniger um Ausbau. Das Radwegenetz soll modernisiert, der Radverkehr stärker mit dem ÖPNV vernetzt und der Fußverkehr „strukturell unterstützt“ werden. Dem Verkehrslärm will man durch neue Technologien begegnen.

Die Lkw-Maut soll auf gewerbliche Transporter ab 3,5 Tonnen ausgeweitet und um einen CO2-Zuschlag erhöht werden. Die Zahl der Lkw-Stellplätze will man ebenso ausbauen wie den kombinierten Verkehr zwischen Lastwagen und Zug.

Der Schienengüterverkehr und die Fahrgastzahlen im ÖPNV sollen deutlich erhöht und das Angebot günstiger und attraktiver werden. Für den ÖPNV will man Qualitätskriterien auch in punkto Erreichbarkeit aufstellen. Die Bahn soll weiter in Richtung Deutschlandtakt entwickelt und der intermodale Verkehr ausgebaut werden. „Digitale Mobilitätsdienste, innovative Mobilitätslösungen und Carsharing werden wir unterstützen und in eine langfristige Strategie für autonomes und vernetztes Fahren öffentlicher Verkehre einbeziehen“, heißt es im Koalitionsvertrag, auch an dieser Stelle eher unkonkret.

Einig sind sich SPD, Grüne und FDP, den „Transformationsprozess der deutschen Automobilindustrie vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Dekarbonisierung zu unterstützen“. Deutschland solle Leitmarkt für Elektromobilität „mit mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw im Jahr 2030“ werden (statt bislang sieben bis zehn Millionen Stromer bis 2030). Der Plan der EU-Kommission, daß ab 2035 keine neuen Verbrenner-Pkw mehr zugelassen werden, wird unterstützt. Spätestens ab 2030 sollen 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen stammen – das wäre in der Tat relevant für die CO2-Bilanz der Elektroautos.

Hybrid-Förderung an elektrischen Fahranteil gebunden

Übereingekommen ist die künftige Koalition, dass die finanzielle Förderung von Hybridautos stärker an den elektrischen Fahranteil gebunden wird. Demnach wird die Innovationsprämie beim Kauf von Hybrid- und Plug-in-Hybrid-Pkw ab August 2023 nur für Fahrzeuge mit einer theoretischen Elektro-Reichweite von mindestens 80 Kilometern gewährt. 2026 entfällt die Kaufprämie ganz. Die günstigere Dienstwagenbesteuerung von Plug-in-Hybriden wird an die Voraussetzung gebunden, dass mindestens die Hälfte der zurückgelegten Strecke elektrisch gefahren und darüber ein Nachweis erbracht wird. Die Kfz-Steuer-Befreiung von reinen Elektro- und von Brennstoffzellenautos endet mit dem Jahr 2025. Dann soll ein ermäßigter Steuersatz gelten.

Nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge sollen jenseits der Flottengrenzwerte neu zugelassen werden können. Bei der Ausgestaltung der künftigen Abgasnorm Euro 7 beabsichtigt die Ampel-Koalition, sich für „ambitionierte und umsetzbare“ Vorgaben für neue Autos mit Verbrennungsmotor einzusetzen, unter Berücksichtigung der Wertschöpfung und der Arbeitsplätze. Die steuerliche Bevorzugung von Dieselkraftstoff soll „überprüft“ werden. Würde Diesel vom Fiskus genauso behandelt wie Benzin, wären deutlich höhere Tankstellenpreise für Pkw und Lkw mit Selbstzünder die Folge.

Bis 2030 soll die künftige Bundesregierung für mindestens eine Million „öffentlich und diskriminierungsfrei“ zugängliche Ladepunkte für E-Autos sorgen, vornehmlich mit Schnelladetechnologie, mit öffentlichem Belegungsstatus und auch mit bidirektionalem Modus. Zur Umsetzung wird auf private Investoren gesetzt, Entbürokratisierung soll das Vorhaben beschleunigen. Wo das nicht möglich ist, sollen staatliche Auflagen die Versorgung sicherstellen.

Verkehrsdaten werden nach dem Willen der Ampel-Koalitionäre frei zugänglich sein. Die Fahrzeugdaten sollen über einen Treuhänder den Nutzern, privaten Anbietern und staatlichen Stellen „wettbewerbsneutral“ zur Verfügung stehen; die Interessen der betroffenen Autounternehmen sollen berücksichtigt werden. Beim autonomen Fahren werden die Autofahrer die Hoheit über die Daten erhalten.

Die drei Parteien beabsichtigen, die verkehrsrechtlichen Bestimmungen so zu verändern, dass Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und die städtebauliche Entwicklung stärker Berücksichtigung finden. Man bekennt sich zur „Vision Zero“ (unfallfreier Straßenverkehr) und plant, die Verkehrssicherheitsprogramme „weiterzuentwickeln“. In Lastwagen sollen Notbrems- und Abstandsassistenten künftig nicht mehr ausschaltbar sein. „Ein generelles Tempolimit [gemeint ist auf Autobahnen – d. Red.] wird es nicht geben.“

Nach dem Willen der künftigen Koalition soll begleitetes Fahren ab 16 bundesweit eingeführt, der Fahrschulunterricht digitalisiert und die Führerscheinprüfung privatisiert werden.

Der Koalitionsvertrag muss von den beteiligten Parteien noch bestätigt werden, teils durch Parteitage, teils durch Mitgliederentscheid. Die Wahl des neuen Bundeskanzlers im Bundestag ist für Anfang Dezember geplant.

Kristian Glaser (kb)