Vor nicht ganz zwanzig Jahren startete die ‚Retro Classics‘ als relativ kleine und biedere Ausstellung. Als Freund des historischen Automobils hatte Karl Ulrich Herrmann damals schon auf seinem Stand als Blickfang einige Oldtimer präsentiert. Von Dr. W. Gehring, dem damaligen Messechef, angesprochen, organisierte Herrmann im Jahr 2001 zunächst die Retro Classica am Killesberg, dem ehemaligen Messegelände der Landeshauptstadt, als kleine Oldtimerschau. Heute nun, zur zwanzigsten Auflage, kann K. U. Herrmann stolz den Staffelstab an seinen Sohn Andreas weiterreichen. Bei der diesjährigen Jubiläumsmesse konnten die beiden „Herrmänner“ mit ihrem Team heuer auf eine Gesamtfläche von über 140.000 Quadratmetern, die auf zehn Hallen verteilt waren, zurückgreifen.
Die heutige Retro Classics bot jedem Automobilenthusiasten eine große Plattform an Möglichkeiten, sich umfassend über das Oldtimergeschäft mit seinen Nebenzweigen zu informieren. Nicht nur auf den Ständen der Hersteller und Zulieferer wurde die Historie präsentiert. Autogrammstunden und Talk-Runden mit den Vertretern des Automobilrennsports wurden vom Publikum und den Besuchern sehr gerne angenommen. Gesehen wurden u. a. die DTM-Asse Roland Asch, Ellen Lohr, Klaus Ludwig, Prinz Leopold von Bayern oder Jochen Mass, der ehemalige Grand Prix-Pilot.
Ferner bot die Retro Classics erneut zahlreichen privaten Autoanbietern die Möglichkeit, ihre Oldies an den Mann oder auch die begeisterte Frau zu bringen. Bei der in die Messe integrierte „Auktion Classicbid“ wechselte nach dem Hammerschlag des Auktionators manches fahrbare Schätzchen für sehr viel Geld seinen Besitzer.
Als Blickfang im Foyer galt unbestritten die „Gulf Heritage Collection“ des Unternehmers Roald Goethe. Der Rennfahrer und Sammler stellte für die Messe in Stuttgart 27 Pretiosen aus der Sammlung zusammen, die jemals mit der legendären orangeblauen Lackierung von Gulf Rennen gefahren sind. 2015 wurde Roald Goethe vom Porsche 919-Piloten Niko Hülkenberg bei dessen Überholversuch so heftig abgedrängt, dass er in eine Mauer einschlug. Nach seiner Genesung konnte er seine Karriere fortsetzen und startete noch bei weiteren Rennen. Die unbezahlbare Rennwagen-Sammlung zeigte u. a. den Ford GT40, den siegreichen Porsche 917 K oder den Gulf Mirage GR8.
In Deutschland werden die einprägsamen Farben von der Gulf Oil-Deutschland GmbH hoch gehalten. Geschäftsführer Carsten Drews schätzte sich glücklich, bei der Jubiläumsmesse dabei zu sein und meinte, „ … dass in den letzten Jahren viel investiert wurde, um die Marke heute am Markt wieder neu zu platzieren.“ www.gulf-oil.de
Regen Zuspruch hatte die Kraftfahrzeug-Organisation GTÜ. Am ersten Messetag stellten die Prüfingenieure unter der Moderation von Frank Reichert eine aktuelle Mängelstatistik bei Oldtimern vor. Laut diesem Report stieg die Anzahl der Mängel bis zu einem Fahrzeugalter von 23 Jahren an und sank danach wieder kontinuierlich. Oldtimer ohne H-Kennzeichen weisen zudem mehr Mängel auf als solche ohne das Nummernschild für historische Autos. 44,2 Prozent dieser Autos sind mängelfrei – mit H-Kennzeichen sind es 55,1 Prozent. 29,7 Prozent haben geringe Mängel (mit H-Kennzeichen: 27,1 Prozent) und 26,1 Prozent erhebliche Mängel (17,8 Prozent). Am besten schneiden aber überraschenderweise Vorkriegs-Klassiker ab: 78 Prozent der in Deutschland zugelassenen Oldtimer der Baujahre 1920 bis 1940 waren 2019 bei der Hauptuntersuchung mängelfrei. 16,8 Prozent wiesen geringe Mängel auf, nur 5,2 Prozent hatten erhebliche Mängel. www.gtue.de
Der schwäbische Sitzhersteller Recaro in Kirchheim/Teck stellte in einer Weltpremiere seine neue Reihe „Classic Line“ mit drei Sitzen vor. Den Recaro Classic LX und LS sowie den als Rennschale ausgeformten Classic Pole Position. Für die Entwicklung bis zur Serienreife holte sich Designleiter Frank Beermann, der mittlerweile seit über dreißig Jahren bei Recaro arbeitet, keinen geringeren als Walter Röhrl, den mehrfachen Rallye-Weltmeister, ins Boot. Für den sympathischen Allround-Rennfahrer, der laut eigenem Bekunden, schon seit fünfzig Jahren in Recaro-Sitzen in den verschiedenen Genres seiner Rennautos Platz genommen hatte, ist das Sitzen im Auto ungeheuer wichtig. „Die meisten Leute halten sich beim Fahren meistens nur am Lenkrad fest – und das kann fatal sein. Ein guter Halt im Sitz ist unerlässlich“, meinte der Champion bei seinem Statement. Daher tragen die neuen Heritage-Sitze auch das Siegel „Approved by Walter Röhrl“. In den Handel werden die neuen Sitze vermutlich im Juli dieses Jahres gelangen. https://www.recaro-automotive.com
Neben der Mercedes-Benz AG bot das Haus Porsche ebenfalls einen Einblick in seine Geschichte. Blickfang bei den Untertürkheimern waren der Simplex mit 35 PS Leistung und der Carl Benz Motorwagen. Am 3. Juli 1886 absolvierte der Benz Patent-Motorwagen auf der Ringstraße in Mannheim seine Premierenfahrt in der Öffentlichkeit.
Die Zuffenhausener präsentierten Historie und Neuzeit in strahlenförmigem Aufbau. Am Stand vis-a-vis bot der Porsche 356 Club ebenfalls Historie par excellence, die von den Eigentümern der Fahrzeuge gezeigt wurde. Darunter stand auch ein alter Elfer, mit dem Walter Röhrl 1970 seine erste Rallye mit einem Porsche fuhr. Dass er dieses Auto erneut nach seiner Restoration enthüllen durfte, war eine angenehme Aufgabe für den Weltmeister.
Text und Fotos: Eberhard Strähle