//„Racing Oldtimer“: Rennwagen-Restauration mit höchstem Anspruch

„Racing Oldtimer“: Rennwagen-Restauration mit höchstem Anspruch

Seit knapp zwei Jahren findet man in Nussdorf, einem Ortsteil des beschaulichen Kleinstädtchens Eberdingen, die Firma ORCA Restoration GmbH. Hinter einer neutralen Neubaufassade werden dort vom Diplomingenieur (TH) Alfred Kist Schätzchen und Pretiosen aus der Welt historischen Motorsports in äußerst mühevoller Kleinarbeit restauriert, wiederaufgebaut und auch gewartet.

Bei der ORCA GmbH bekommt der Kunde alles aus einer Hand. „Wir fertigen alle Ersatzteile selbst und unter Berücksichtigung des Originalwerkstoffs millimetergenau nach – von einer kleinen Gummitülle oder Zündkerzenstecker bis hin zum Motorblock, Getriebe, Felgen und Achsbauteilen“, berichtet Alfred Kist. Aus diesen Worten folgernd, ist es eine Kombination zwischen alter automobiler Handwerkskunst und heutiger Technologie. Modernste optische Messanlagen, wie einem – auch von den meisten Autoherstellern benutzten – ‚Atos Triple scan‘ von der Fa. GOM GmbH sowie mechanische Messgeräte versetzen das Team um Alfred Kist in die Lage, von alten und defekten Teilen eine CAD-Zeichnung nachträglich zu erstellen und per 3d-Druck oder 5-Achs- CNC-Maschinen herzustellen. Eine stählerne Präzisions-Richtplattform für die Reparatur oder Neuanfertigung von Chassis und Karosserie stehen den Spezialisten in Eberdingen ebenfalls zur Verfügung.

Die ORCA-Kundschaft rekrutiert sich aus Privatleuten, die einen historischen Rennwagen ihr Eigen nennen, sowie Firmen, die dem Oldtimergeschäft verbunden sind. Zum engeren Kreis dieser Kunden zählt auch das ‚rollende Museum‘ der Porsche AG. Heute nennen die Zuffenhausener diese Sparte in schönstem neudeutsch „Heritage Experience“. Um dem Umstand eines erhöhten Arbeitsaufkommens personell gerecht zu werden, kann der Chef der ORCA GmbH nicht nur auf ehemalige Mitarbeiter des Hauses Porsche, sondern ebenfalls auf geniale Fachleute, die hauptsächlich im Automobilbereich bzw. Rennsport engagiert waren und noch sind, stets zählen und zurückgreifen.

In Zeiten, als ein Arbeitstag mindestens 25 Stunden hätte aufweisen sollen, gingen rund zehn Spezialisten ihrer hochinteressanten Arbeit bei der ORCA GmbH im Dienste des historischen Rennwagens nach. Allerdings lassen sich solche Projekte bezüglich ihrer Verweildauer in Eberdingen nicht in ein zeitliches Fenster pressen. „Die Dauer ist individuell abhängig vom Umfang und Schwierigkeitsgrad der anfallenden Arbeit“, meinte Alfred Kist.

Derzeit warten bei in Eberdingen folgende Fahrzeuge auf ihre Fertigstellung:
Porsche 911 R (1967) mit einem Motor vom Typ 916, von dem lediglich vier Exemplare gebaut wurden. In Eberdingen durchläuft der Sportwagen eine komplette technische Revision.

Noch an der Decke hängend, wartet die Karosserie des 917 Spyders mit dem der Finne Leo Kinnunen im Jahr 1971 Champion der ‚Interserie‘ wurde, auf die Hochzeit mit dem dazugehörenden Chassis.

Der farbenprächtige 908/2, mit dem Niki Lauda 1970 den 18. Platz in der ‚Interserie‘ belegte, wird per Revision und Umbau auf diesen Stand vor bald fünfzig Jahren zurückgebracht. Der noch teilweise zerlegte 917-015 in der blauen ‚Gulf‘-Lackierung wird in den Originalzustand des Rennens in Daytona 1970 versetzt.

Mit dem superleichten 910 Bergspyder von 1967 fuhren die unvergessenen Porsche-Werksfahrer Gerhard Mitter und Rolf Stommelen um die ‚Europa-Bergmeisterschaft‘ und gewannen das Rennen am Mont Ventoux in Frankreich.

Der silberfarbige 550 Spyder mit der Startnummer 56 rannte 1954 in Le Mans und bei der ‚Carrera Panamericana 1954‘ in Südamerika. Sein Besitzer, der aus Frankreich kommt, lässt den Boliden auf den Urstand des Rennens in Le Mans zurückbauen. Der dahinter stehende 917-036 wird nach über dreissig Rennstunden komplett überholt.

Das ORCA-Meisterstück bestand in der Restauration des ersten 917, der heuer auf der Retro Classic-Messe in Stuttgart zu sehen war.

Für den quirligen Alfred Kist ist der Rennsport aber nicht nur mit dem Namen Porsche verbunden. „Wir haben für namhafte Automobilhersteller Teile in mühevoller Kleinarbeit, wie zum Beispiel einen Zylinderkopf für den Rolls Royce Phantom 1 von 1926 und für einen Maserati 3500 GT/Mistral von 1958 nachgefertigt. Wie auch das Getriebegehäuse für einen Maserati ‚Birdcage‘ aus dem Jahr 1963 oder einem Differentialgehäuse eines alten Ferrari 375“, erzählt Alfred Kist mit sichtlichem Stolz.

Schon von Kindsbeinen ist der ORCA-Chef von Autos und vom Automobil-rennsport fasziniert und war in seinem ‚Traumberuf‘ als Entwicklungsingenieur bei Mercedes bis Ende 2006 mit Herzblut tätig. Noch als freiberuflicher Dienstleister in Kirchheim/ Teck baute Alfred Kist nach dieser Zeit für das Mercedes-Benz-Museum Modelle im Maßstab 1:5, die heute noch in diversen Ausstellungen gezeigt werden. Darunter befanden sich Modelle aus der Entwicklungsperiode des 300 SL (1954), dem vergleichbaren Roadster (1957), der 190 SL Pagode (1967) und des legendären Uhlenhaut-Coupés.

Bis heute hat Alfred Kist ein sehr umfangreiches Archiv über historische Autos – speziell von Rennfahrzeugen – angesammelt, das eine wesentliche Voraussetzung darstellt, um eine originalgetreue Restauration durchführen zu können.

Text & Bilder: Eberhard Strähle