//Müllers Kolumne: Cannabis versus Verkehrssicherheit

Müllers Kolumne: Cannabis versus Verkehrssicherheit

Die Bundesregierung hat Anfang Juli einen Referentenentwurf zur Legalisierung von Cannabis vorgelegt. Die Verkehrssicherheit wird darin sträflich vernachlässigt. Sollte dieser Entwurf in seinen Kernpunkten trotz des „Struck´schen Gesetzes“ (benannt nach dem Parlamentarier Peter Struck (SPD): „Kein Gesetzentwurf verlässt den Bundestag so, wie er eingebracht wurde“) Gesetzeskraft erlangen, droht ein Anstieg der Fahrten unter dem Einfluss von Cannabis, eine Zunahme von durch Konsum von Cannabis verursachten Verkehrsunfällen und – ganz nebenbei – ein durch Konsumfolgen bedingter Supergau für die Drogenprävention.

Die Ziele der Bundesregierung

Laut der Einleitung in den Gesetzentwurf verfolgt die Bundesregierung die folgenden Ziele:
1. Verbesserter Gesundheitsschutz
2. Stärkung der cannabisbezogenen Aufklärung und Prävention
3. Eindämmen des illegalen Marktes für Cannabis
4. Stärkung des Kinder- und Jugendschutzes
5. Kontrolle der Qualität von Konsumcannabis
6. Verhinderung der Weitergabe verunreinigter Substanzen

Diese Ziele sollen durch die folgenden Maßnahmen erreicht werden:
1. Erleichterung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Cannabis
2. Ermöglichen des privaten Anbaus, gemeinschaftlichen nicht-gewerblichen Anbaus von Konsumcannabis
3. Kontrollierte Weitergabe von Konsumcannabis an Erwachsene zum Eigenkonsum
4. Reduzierung gesundheitlicher Risiken durch Information, Beratungs- und Präventionsangebote
5. Förderung der Teilnahme von auffällig gewordenen Jugendlichen an Frühinterventionsprogrammen
6. Schutz von nichtkonsumierenden Bürgern vor den direkten und indirekten Folgen des Cannabiskonsums

Die Einleitung verschweigt vollständig das Thema und die möglichen negativen Folgen der Legalisierung für die Verkehrssicherheit.

Konsum von Cannabis in Deutschland und Europa

In Deutschland konsumierten nach Erhebungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren im Jahr 2022 rund 4,5 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Cannabis (DHS Jahrbuch Sucht 2023). Für den europäischen Maßstab ermittelte der Europäische Drogenbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht für das Jahr 2021 bei den 15 – 24jährigen einen Konsum von Cannabis bei ca. 19,2 Prozent, also ca. 9,1 Millionen der jungen Menschen (https://www.emcdda.europa.eu/system/files/publications/13838/2021.2256_DE0906.pdf, S. 16). Cannabis ist damit die am meisten konsumierte illegale Droge in Deutschland und Europa.
Wer Cannabis – wie aktuell die Bundesregierung und wohl auch bald der Deutsche Bundestag – legalisieren will, bedient also die Wünsche der Klientel der Cannabiskonsumenten, die sich bislang ausschließlich und vorsätzlich auf dem illegalen Markt der Dealer bedienen, um an ihre erwünschten Betäubungsmittel zu gelangen. Ausdrücklich wird nicht nach der Meinung der Nichtkonsumenten gefragt. Laut einer vom Deutschen Hanfverband initiierten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap stimmten der Aussage: „Cannabis sollte für Volljährige legal und reguliert erhältlich sein, zum Beispiel über Fachgeschäfte wie in Kanada oder den USA“ 49 Prozent der Befragten aus einer Zufallsstichprobe eher zu, während 46 Prozent dieser Aussage eher nicht zustimmten.

Risiken im Straßenverkehr

Mit dem Thema Cannabis und Verkehrssicherheit befassten sich in den vergangenen Jahren – veranlasst durch die Legalisierung des Handels mit Cannabis –Wissenschaftler aus Nordamerika. Die aktuellste Studie über die Beeinflussung durch Cannabis bei durch einen Verkehrsunfall verletzten Fahrern vor und nach der Legalisierung stammt aus Kanada (Brubacher et al., Cannabis Legalization and Detection of Tetrahydrocannabinol in Injured Drivers, The New England journal of medicine, 2022 Jan 13; 386(2): 148 – 156). Demnach ‎wurde vor der Legalisierung bei 9,2 Prozent der verletzten Fahrer ein THC-Gehalt von mehr als 0 ng/ml Blut festgestellt, bei 3,8 Prozent ein THC-Gehalt von mindestens 2 ng/ml Blut und bei 1,1 Prozent ein THC-Gehalt von mindestens 5 ng/ml Blut. Nach der Legalisierung lagen die Vergleichswerte bei 17,9 Prozent, 8,6 Prozent beziehungsweise 3,5 Prozent.‎ Die Steigerungsraten lagen also bei durchschnittlich 95 Prozent, sodass man mit der Legalisierung von Cannabis als deren erwartbare Folge eine Steigerung von THC-Konzentrationen im Blut der durch Verkehrsunfälle verletzten Fahrer prognostizieren kann.

Die aktuellste Studie aus den USA über den Einfluss von Cannabis auf Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang untersuchte den Einfluss von THC auf Fahrer, die an tödlichen Verkehrsunfällen im US-Bundesstaat Washington beteiligt waren. Die Ergebnisse wurden im Dezember 2021 im American Journal of Epidemiology veröffentlicht (Tefft/Arnold, Estimating Cannabis Involvement in Fatal Crashes in Washington State Before and After the Legalization of Recreational Cannabis Consumption Using Multiple Imputation of Missing Values, 2021 Dec 1;190(12): 2582 – 2591). Demnach stieg die Anzahl der durch THC beeinflussten und an tödlichen Verkehrsunfällen beteiligten Fahrer (n = 8.282) von 9,3 Prozent vor der Legalisierung auf 19,1 Proznet nach der Legalisierung an, was mehr als einer Verdoppelung entspricht.

Reform im Verkehrsrecht

Der Entwurf sieht vor, dass der Paragraph 14 Fahrerlaubnis-Verordnung wie folgt geändert werden soll (Änderungen in kursiver Schrift und Fettdruck):
§ 14 Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel, Cannabis und Arzneimittel
(1) Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder die Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass …
1. …
2. Einnahmen von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder Cannabis
3. …
vorliegt.
Die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens kann angeordnet werden, wenn der Betroffene Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder Cannabis widerrechtlich besitzt oder besessen hat. …

Die einzige Stelle im Gesetzentwurf, die den Straßenverkehr erwähnt, findet sich auf Seite 80 der Begründung und verpflichtet das Bundesministerium für Digitales und Verkehr dazu, die „für die Zulässigkeit des Führens von Kraftfahrzeugen auf öffentlichen Straßen maßgeblichen Grenzwerte für Tetrahydrocannabinol (THC) auf wissenschaftlicher Grundlage (zu) untersuchen und (zu) ermitteln“.
Es wird also erst das Cannabis legalisiert und parallel ermittelt, welche Grenzwerte zukünftig im Straßenverkehr gelten sollen, was quasi einer „Operation am offenen Herzen“ gleichkommt.

Zudem werden durch die Vorschrift des Paragraphen 21 Anbauvereinigungen dazu verpflichtet, „bei der Weitergabe von Cannabis und Vermehrungsmaterial … insbesondere hinzuweisen auf …
4. Einschränkungen der Straßenverkehrstauglichkeit und beim Bedienen von Maschinen …“

Dazu müssten sich die Anbauvereinigungen zunächst einmal zwingend fachlich mit diesem Thema auseinandersetzen, um ihre Kundinnen und Kunden über die Risiken im Straßenverkehr aufklären zu können. Ob die verantwortlichen Personen, die gegebenenfalls selbst konsumieren, dazu bereit und in der Lage sind, darf vor dem Hintergrund bezweifelt werden, dass sie sich bislang ohne Skrupel hinsichtlich ihrer kriminellen Verkäufer auf dem illegalen Markt ihre Betäubungsmittel verschafft haben.

Fazit

Die Legalisierung des Anbaus und Handels mit Cannabis wird voraussichtlich die Verfügbarkeit der Droge nochmals deutlich steigern. Ein großes Angebot wird voraussichtlich zu einem gesteigerten Konsum, auch unerfahrener neuer Konsumgruppen (sog. Experimentierkonsum) führen. Da der Eigenanbau in zahlreichen Vereinen erfolgen wird, deren erwachsene Mitglieder oft auch Kinder und Jugendliche haben, ist eine strenge Begrenzung der Verfügbarkeit auf Erwachsene utopisch.
Zahlreiche Neukonsumenten werden die Wirkung von THC auf ihren Organismus unterschätzen und am Straßenverkehr teilnehmen, obwohl die Droge noch nicht vollständig von ihrem Körper abgebaut worden ist. Dabei spielt es eine große Rolle, dass THC nicht linear – wie beim Alkohol – vom Körper abgebaut wird und die THC-Konzentration in den Pflanzen unterschiedlich hoch und damit für die Anbauer unberechenbar ist.
Die Anzahl von Verkehrsunfällen durch unter dem Einfluss von THC stehenden Fahrer dürfte steigen. Die im Blut erreichten THC-Werte der Unfallfahrer dürften ebenfalls steigen.
Die Folgekosten für das Sozialsystem durch die Behandlungsbedürftigkeit von früh konsumierenden Kindern und Jugendlichen sind unberechenbar.

Die Kosten für die Prävention müssen von den Ländern und Kommunen getragen werden, in deren Gebiet die negativen Konsumfolgen gehäuft auftreten werden. Insbesondere in Schulen dürfte das Konsumproblem junger Konsumenten noch virulenter als jetzt schon werden. Suchtkliniken befinden sich aktuell schon an der Kapazitätsgrenze und sind für einen Anstieg an Problemkonsumenten weder personell noch mit finanziellen Mitteln ausgestattet.
Die Legalisierung des Anbaus und Handels von Cannabis ist nach alledem mit unkalkulierbaren Risiken für die Verkehrssicherheit und für unsere Gesellschaft verbunden. Die politische und moralische Verantwortung für die prognostizierten Entwicklungen tragen die Politiker, die als Parlamentsmehrheit für die Legalisierung im Deutschen Bundestag verantwortlich sind. Eine namentliche Abstimmung wäre hilfreich, um Verantwortliche auch später benennen zu können.

Weiterführende Links
Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit
hier klicken
Drogenbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht
hier klicken
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) Jahrbuch Sucht 2023
https://www.dhs.de/suechte/illegale-drogen/zahlen-daten-fakten
Umfrage infratest dimap
hier klicken

Professor Dr. Dieter Müller ist Verkehrsrechtsexperte und Träger des Goldenen Dieselrings des VdM. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) lehrt er Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht. Zudem ist er Gründer und Leiter des IVV Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten sowie unter anderem Vorsitzender des juristischen Beirats des DVR. An dieser Stelle kommentiert der Fachmann Aktuelles zu Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik.

Foto: mrkukuruznik5/Pixabay